Wir sitzen in Boardshorts und Bikini in der offenen Küche unseres Hostels. Das Visa läuft aus. Wir müssen einen Entschluss fassen. Mexiko ist ganz oben auf der Liste. Da kommt die Nachricht: Der Flughafen Guayaquil schliesst heute Nacht!

Der Anfang
Während unserer gesamten Reise bekamen wir fast nichts von den Weltgeschehnissen mit. Die regionalen Nachrichten waren unsere einzige Informationsquelle. Ich war noch nie so gut über die südamerikanische Politik informiert, hatte jedoch keine Ahnung, was in der Schweiz abgestimmt wurde. Wir liefen durch Proteste in Peru und konnten aufgrund der Aufstände in Bolivien nicht einreisen. Wir flogen durch die Rauchschwaden des Amazonasbrandes nach São Paulo und reisten dem Ölteppich Brasiliens hinterher. Dies war nun unser Leben, nicht die Nachrichten von Europa oder Asien.

Im Januar erzählte uns eine Freundin von einem Corona-Virus aus China, erst im Februar hörten wir, wie über mehrere Ecken davon gesprochen wurde. Wir waren gerade auf den Galapagos-Inseln. Die Leute rieten uns, viel Tequila zu trinken, um den Virus abzutöten.

Als wir nach unserem dreiwöchigen Aufenthalt in Guayaquil ankamen, fing es auf Social Media an. Durch die sozialen Plattformen, Nachrichten und Telefonate von Verwandten und Bekannten bekamen wir zum ersten Mal mit, wie schlimm es wirklich um China, Italien und Spanien stand. Dennoch dachten wir, wir schauen mal, wie es weitergeht, denn Südamerika schien noch so ziemlich verschont geblieben zu sein.

Last Call
Erst als wir ein paar Tage später in der Nähe von Playas, in Puerto Engabao, im gemütlichen Surf Shelter Hostel sassen, fing es an, Ecuador zu treffen. Gerade beschäftigten wir uns mit unserer Reise-Zukunft, als unser Gastgeber Daniel uns am 15. März darüber informierte, dass der Flughafen zumache. Wir wussten, dies ist die letzte Chance. Wir entschlossen uns, noch an diesem Tag zu versuchen, nach Mexiko zu kommen. Im Nachhinein fragt man sich, weshalb man die Entscheidungen traf, die man traf. Ich denke aber, vor allem zu Beginn nahm man die Krise eher auf die leichte Schulter.

Trotz all unseren Bemühungen, inklusive 1½-stündiger Taxifahrt zum Flughafen, schafften wir es nicht auf einen Flug. Alles war voll und die Flüge in die Schweiz über 2’000 CHF pro Person. Also gingen wir zurück. Damals haben wir noch nicht gewusst, dass wir gerade in die verseuchteste Zone Ecuadors rein und wieder raus sind. Immerhin: Ich bin nur ausgestiegen und eine halbe Stunde später wieder eingestiegen. JP hatte keinen Personenkontakt. Zum Glück nahm uns das Hostel wieder auf, aber wir wussten, jetzt bleiben wir wohl ein bisschen hier. Wir fragten nach einem günstigeren Zimmer.

Lockdown
Auf dem Rückweg deckten wir uns mit Bargeld und Lebensmittel für zwei Wochen ein, da wir dachten, jetzt wirds ernster. Dann warteten wir ab, während wir gleichzeitig allfällige Flüge im Auge behielten, was jedoch schwierig war. Denn sie wurden im Minutentakt gestrichen, einige Websites konnten nicht Schritt halten und boten noch längst gecancelte Flüge an. Zusätzlich waren sie sehr teuer und überschritten unsere Kartenlimiten.

Unsere Ablenkung war das Surfen. Zwei Minuten vom Hostel entfernt hat es einen wunderschönen, schnellen Right Pointbreak. Zum Glück surften wir in diesen Tagen auch noch ein paar Mal die Pointbreaks im etwa 20 Minuten entfernten Playas. Denn nur zwei Tage nach der Flughafenschliessung wurde in Ecuador der Ausnahmezustand ausgerufen und Ausgangssperren verhängt. An einem Tag liefen wir gerade noch durch das lebendige Playas, am nächsten Tag mussten alle Geschäfte schliessen. Die Leute nahmen es ernst. Es gab keine Besitos und Umarmungen mehr. Jeder trug eine Maske (oder etwas ähnliches). Die Bäckerin wollte das Geld unserer österreichischen Freunde kaum berühren und riet ihnen, nach Hause zu gehen.

Quarantäne
Zu Beginn der Ausgangssperre nahmen viele die offenen Stunden locker (Ausgangssperre war von 14 bis 5 Uhr). Eigentlich sollte man nur für Notwendigkeiten aus dem Haus, dennoch gingen viele surfen, schwimmen und spazieren. Auch wir surften weiter, deshalb waren wir ja da. Und wir dachten, solange wir genügend Abstand einhalten, sei es okay. Als es dann sowieso klein wurde, blieben wir zuhause.

Im Hostel sind ein Deutscher, ein Amerikaner, zwei Österreicher, wir und die Hostelfamilie übrig geblieben. Unser australischer Nachbar war zudem auch seit Beginn unseres Aufenthalts immer bei uns. Das Surfen, unsere gemeinsame Leidenschaft, verband uns sowieso. Wir merkten dann aber auch, dass da mehr war. Fast jeden Morgen und zu jedem Sonnenuntergang gab es Yoga oder ein Workout auf der Terrasse. Wir züchteten gemeinsam eine Sauerteigmutter und hatten jeden Tag frisches Brot, dass wir «Engabao Sour» tauften.

Wir hatten auch eine Pizza-, mehrere Empanada- und Lagerfeuer-Nächte mit unheimlichen Geschichten aus der Umgebung. Wir diskutierten über die aktuelle Lage und tauschten unsere Botschaftsinformationen aus. Es gab eine Punkteliste für Sieger bei Ping-Pong und Kartenspielen. Zur Ablenkung konnte man Nadija, der Host Mom, helfen, die vier Wochen alten Welpen zu füttern oder mit der älteren Hündin spielen.

Jeden Tag wurden wir von Kühen, Pferden und Schweinen besucht oder man konnte die zehn kleinen «Bibeli» bei der Futtersuche beobachten. Es hatte über zehn Hängematten zum Entspannen und Netflixen. Eigentlich war es ganz gemütlich und abwechslungsreich. Die News, die stündlich reinkamen, wirkten fremd, wenn man auf der Terrasse den Wellen zuschaute. Wir waren aber alle angespannt. Niemand wusste wies weiter geht. Die Schweizer Botschaft informierte uns täglich über die Geschehnisse und allfällige Flüge. Unser Host hielt uns mit den regionalen Nachrichten auf dem Laufenden. Von Freunden aus ganz Südamerika bekamen wir Videos mit lustigen Memes, aber auch schockierenden Inhalten zugeschickt. Es war eine Gefühlsachterbahn.

Solidarität und Egoismus
Eines Tages mussten wir einkaufen gehen. Die Strassen zu jedem Dorf waren gesperrt und nur Einheimische wurden zurück ins Dorf gelassen. Wir mussten es trotzdem wagen. Da man nur mit Mundschutz aus dem Haus durfte und wir keine hatten, banden wir uns Bandanas um, wir sahen aus wie Banditen.

Am Grenzposten überzeugten wir den Polizisten, dass wir nur einkaufen gehen wollten. Insgesamt waren wir drei Stunden unterwegs. In den Laden kam man nur mit langen Hosen und Mundschutz. Jeder wurde von Kopf bis Fuss desinfiziert und musste die zwei Meter Abstand einhalten. Es ging länger, aber es ging. Viel schwieriger wurde es, wieder ins Dorf zurückzukommen. Wir hielten den Polizisten Einkaufsbelege und die Stromrechnung des Hauses des Australiers unter die Nase und erzählten von unseren Freunden in Engabao. Erst als wir ihn überzeugten, dass wir schon seit drei Monaten im Land seien, war es okay.

An einem anderen Tag kam der grösste Swell rein, denn wir in Ecuador bis dahin hatten. Schwierig zu widerstehen. Also wagten wir es früh morgens vor der Haustüre. Wir waren bei weitem nicht die einzigen, weshalb unser Host Dani es uns auch gestattete. Doch alle schauten im Sekundentakt zum Festland, um allfällige Polizeikonvois zu erspähen. Wir dachten, dass es okay sei, weil wir mit den Leuten surften, mit denen wir auch zusammenlebten, assen und tranken. Andere sehen es vielleicht als Egoismus und antisolidarisch in diesen Zeiten. Scheint so, als ob ein Surferherz wohl immer die Wellen priorisiert. Für mich war es den egoistischen Trip wert, weil ich meine erste Barrel ever stand und das sogar backhand. Dafür hätte ich sogar eine Busse und vielleicht Schläge in Kauf genommen.

Glücklich lief ich zurück zum Hostel. In der letzten Kurve kamen mir Marines entgegen. Ich bin wohl noch nie so schnell gerannt. Ich versteckte mein Board im Garten und mich selbst im Aufenthaltsraum und wartete, bis sie weg waren. Danach zog ich mich schnell an und wollte gerade mit einer Fake-Einkaufstasche losrennen, um die anderen zu warnen, als sie auch gerade zurückgerannt kamen. Jemand hatte sie schon auf dem Point gewarnt. Mein Freund war der letzte, der aus dem Wasser paddelte und schürfte sich bei der Flucht im Shorebreak das Knie auf. Das Adrenalin pumpte in meinen Adern. Aus Freude über die guten Wellen, die Barrel und aus Angst vor dem Militär. Für mich war es das erste und letzte Mal, dass ich in Coronazeiten surfte.

Salvoconducto
Plötzlich ging es schnell. Zwar hatten wir uns mit Hilfe von JPs Mutter und ihrer Kreditkarte super teure Flüge in die Schweiz für April gekauft, jedoch änderte sich dann alles. «Die Schweiz organisiert ein Repatriierungsflug nach Zürich. Sie können sich bis Montag 12 Uhr eintragen.» Es war Freitagabend. Wir waren ein bisschen überfordert. Aber als wir alle Szenarien durchgegangen waren, entschieden wir uns, den Flug wahrzunehmen. Unser deutscher Freund erhielt auch eine Einladung, unsere Österreicher nicht. Im Laufe der Tage erfuhren wir, dass wir unsere Boardbags nicht mitnehmen durften. Und wir hatten keine Ahnung, wie teuer das ganze werden würde. Erst am Vortag erhielten auch die Österreicher ein Good-to-go. Bis zum letzten Abend wussten wir nicht, wie wir zum zehn Stunden entfernten Quito gelangen sollten. Es waren aufreibende letzte Tage. Vor allem auch das Abschied nehmen von unserer Quarantäne-Familie, vom sonnigen Strandparadies und den Wellen. Unsere Reise nahm ein abruptes, frühes Ende.

Anmerkung der Redaktion: Florence, das war alles andere als ein «frühes» Ende – ihr seid schon gefühlte 100 Jahre unterwegs! 🙂

Die Heimreise verlief reibungslos. Die Botschaft schickte ein Bus, der uns vor dem Hostel abholte und uns nach Quito brachte. Ein paar Mal wurden wir von Road Blocks gestoppt, doof angeschaut, ausgefragt oder von Kopf bis Fuss mit Desinfektionsmittel eingesprüht.

Desinfektion von Kopf bis Fuss.

Nach einer kurzen Nacht in einem Hotel beim Flughafen mit allen anderen Gestrandeten ging es durch Registrierung und Check-in ins Flugzeug. Nur mit einem Tankstopp und Aufladen von anderen Passagieren in der Dominikanischen Republik flogen wir direkt nach Zürich. Dort angekommen liessen sie, wie schon im Vornherein mitgeteilt, nur 15 Leute auf einmal raus. Natürlich gibt es immer diese Leute, die sich trotzdem beschweren.

An dieser Stelle möchte ich Edelweiss, der Crew, dem Botschafts-Team in Quito und dem EDA für ihre Bemühungen danken und nochmals betonen, in was für einer privilegierten Position wir sind, dass wir nach Hause in ein Land, ohne Ausgangssperre, gewalttätiges Militär und funktionierendem Gesundheitssystem fliegen können. Auch wenn wir unsere Babys zurücklassen mussten.