Die Schweiz ist beim Plastikverbrauch im europäischen Vergleich Spitzenreiterin. Länder mit hoher Kaufkraft verbrauchen besonders viel Plastik – wie schlimm ist es wirklich?
Fabienne McLellan ist Geschäftsführerin von OceanCare. Als Verantwortliche für das Programm zur Verhinderung von Plastikverschmutzung setzt sie sich auf politischer Ebene für die Reduktion von Plastik ein – weltweit und in der Schweiz. Sie weiss: In unserem kleinen Land ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Einwegplastik extrem hoch. Wir wollten es genauer wissen.
Fabienne, was passiert mit dem vielen Plastik, das wir wegwerfen?
Gegen 90% der Kunststoffe in der Schweiz werden «thermisch verwertet», also verbrannt. Nur gerade 10% werden recycelt. Die grosse Anzahl verschiedener Kunststoffe und Zusatzstoffe macht das Recycling in der Praxis fast unmöglich. Dazu kommt, dass sich die weltweite Kunststoffproduktion bis 2050 fast verdreifachen wird. Angesichts dieser Prognose ist klar: Wir können uns nicht aus der Plastikkrise «herausrecyceln».
Wie stark sind Schweizer Gewässer und Böden belastet?
Die Mikroplastikverschmutzung der Schweizer Gewässer ist mindestens so hoch wie diejenige der Meere. Jedes Jahr gelangen rund 14’000 Tonnen Makro- und Mikroplastik in unsere Umwelt. Rund 8’900 Tonnen stammen vom Reifenabrieb, danach macht Abfall aufgrund von Littering rund 2’700 Tonnen aus.
Gelangt Schweizer Plastik in die Meere? Und wenn ja, wie?
Jährlich gelangen schätzungsweise 20 Tonnen Mikroplastik aus der Schweiz in die Meere. Allein die Rhone transportiert Schätzungen zufolge täglich 10 Kilogramm Mikroplastik nach Frankreich Richtung Mittelmeer. Was wir in den Ausguss schütten oder was in der Natur landet, kann unsere Gewässer verschmutzen und ins Meer gelangen.
Belastet Plastik auch unsere Gesundheit?
Plastik wird aus den nicht erneuerbaren Rohstoffen Erdöl und Erdgas hergestellt. Um Plastik seine spezifischen Eigenschaften zu verleihen, werden chemische Zusatzstoffe eingesetzt. Einer der grössten Abnehmer von Plastik ist die Lebensmittelindustrie, denn viele Getränke und Nahrungsmittel wie etwa Käse, Fleisch oder Gemüse sind heute in Plastik verpackt. Für deren Produktion kommen bis zu 12’000 verschiedene Chemikalien zum Einsatz. Viele dieser Substanzen sind giftig. Das Problem: Gewisse schädliche Chemikalien migrieren, d.h. sie lösen sich aus der Verpackung und dringen in die Lebensmittel ein. So gelangt ein unsichtbarer toxischer Cocktail in unsere Esswaren und Getränke und damit in unsere Körper.
Was können wir dagegen tun?
OceanCare setzt sich dafür ein, dass die giftigsten Stoffe, die heute in der Plastikproduktion verwendet werden, verboten werden. Das geht leider nicht von heute auf morgen, aber wir können uns heute schon dafür entscheiden, im Alltag möglichst auf Einwegplastik zu verzichten. Dazu zählen Plastikbeutel, Take-away-Geschirr, Coffee-to-go-Becher, aber auch Convenience-Produkte, die in Plastik verpackt sind. Wenn wir auf Materialien wie Glas, Keramik oder Edelstahl umsteigen, ist schon viel getan – auch gegen die Vermüllung. Plastikfrei zu leben ist zwar eine Herausforderung, aber dennoch umsetzbar. So entscheiden sich immer mehr Menschen bewusst für ein plastikfreies Leben. Ein Beweis dafür ist auch der Boom der Zero-Waste-Läden.
Sind unsere Gesetze zur Vermeidung von Plastik zu lasch?
In der Schweiz besteht bereits eine rechtliche Grundlage, um Einwegplastik zu verbieten. Was gesetzliche Massnahmen gegen Plastikmüll betrifft, ist die Schweiz Europas Schlusslicht. Seit 2021 sind in den Mitgliedstaaten der EU Einwegprodukte aus Plastik verboten. Die Schweiz will aber nicht nachziehen und bestehende Gesetze anwenden, sondern setzt lieber auf Eigenverantwortung von Wirtschaft und Handel.
Welche Massnahmen plant OceanCare, um die Schweiz zum Plastikvermeidungs-Champion zu machen?
Die Bevölkerung nimmt das Problem ernst, das zeigt unsere repräsentative Umfrage. Eine Mehrheit wünscht rechtlich bindende Massnahmen. Der Bundesrat weiss: Die Schweiz hat ein Plastikproblem und Kunststoffe sind umweltschädlich und gesundheitsgefährdend. Trotzdem will die Regierung nicht handeln und setzt auf freiwillige Massnahmen. OceanCare will erreichen, dass zumindest bestehende Gesetze konsequent umgesetzt werden. Die Plastik- und Verpackungsindustrie wird nicht freiwillig einlenken. Darum braucht es Gesetze, um unnötiges Einwegplastik zu stoppen.
Was geschieht, wenn nichts zustande kommt?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Preis wäre enorm. Vergessen wir nicht: Es geht nicht nur um den Schutz unserer «blauen Lunge», die über 50 Prozent des Sauerstoffs produziert, den wir atmen. Es geht um die Zukunft unseres ganzen Planeten.
Petition: Gemeinsam gegen die Plastikflut
Schweizerinnen und Schweizer verbrauchen rund 127 Kilo Plastik pro Kopf und Jahr – das ist mehr als in fast jedem anderen Land der Welt. In der Schweiz werden 85 bis 90 Prozent aller Kunststoffe nach sehr kurzer Nutzung verbrannt, also weder recyclet noch wiederverwendet. Die Schweiz ist Europas Schlusslicht in der Einweg-Plastikreduktion. Das muss sich ändern!
Unterstütze den Appell von Ocean Care an den Schweizer Bundesrat und unterzeichne die Petition, auch wenn du nicht in der Schweiz wohnhaft bist: https://www.oceancare.org