Im Sog der Welle trotzdem Ruhe zu bewahren, gelingt nicht allen. Gleich wie unseren Körper können wir aber auch unsere Psyche trainieren. Kim Chareonbood ist Schweizer Sportmentaltrainerin und kümmert sich um genau dies.

Die Fakten sind klar: Begibt sich ein Mensch unter Wasser, so wird eine lebenswichtige Funktion des Organismus ausgeschaltet. Ohne zu atmen, überleben wir gerade mal drei Minuten, das Blut wird unwillkürlich aus den Extremitäten hin zu den Organen gepumpt. Der Körper schaltet auf Überlebensmodus. Da die Zeit unter Wasser viel schneller zu laufen scheint, fühlen sich fünf unkontrollierbare Sekunden schnell wie eine Ewigkeit an.

Ein Horrorerlebnis in Indonesien
Kim Chareonbood begann 2005 mit Surfen. Sie sei grundsätzlich keine ängstliche Person: «Ich habe mich vor allem zu Beginn meiner Surfkarriere in jegliche Konditionen reingeschmissen, und auch schon ein paar Bretter zweigeteilt, so richtig Kamikaze halt», sagt sie mit einem Lächeln. Nicht immer jedoch ging dies gut und eine Erfahrung in Serangan auf Bali im 2008 bleibt für immer in Erinnerung. Die Wellen sind an dem Tag massiv und viel zu gross für Kims damaliges Surfniveau. «Ein Freakset hat mir den Rest gegeben. Die Wucht der Welle hat mich eine gefühlte Ewigkeit unter Wasser gedrückt. Für einen Moment dachte ich wirklich, ich werde jetzt sterben – mein schlimmster Moment in den ganzen 15 Jahren Surfkarriere», erzählt Kim. Wieder zurück am Strand flossen die Tränen in Strömen. Der Schock sass tief: eine Woche lang zog sie danach regelmässig das Board aus jeder noch so kleinen Welle zurück.

Kim am Surfen
Bild: Drop In Surflodge.

Spassverderber Nummer 1
Angst ist eine natürliche Reaktion des Körpers, ein Gefühl, dass uns vor möglichen Bedrohungen zu schützen versucht. Es ist ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit: die Pupillen weiten sich, die Sinne sind geschärft, das Herz klopft schneller, es kann zu Schweissausbrüchen kommen. Der Körper signalisiert «Achtung». Dass Angst beim Surfen ausbricht, kann mehrere Gründe haben:

  • eine tatsächliche Bedrohung wie ein scharfes Riff oder eine grosse Welle, oft im Zusammenhang mit dem Wissen um das eigene, ungenügende Können
  • eine Idee von einer tatsächlichen Bedrohung basierend auf einem traumatisierenden Erlebnis wie einem üblen Wipe-out oder einem langen Hold-down, die nicht einer realen Gefahr entspricht

Angst ist nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um eine reale, akute Bedrohung handelt. Ansonsten kann und soll man sie auszublenden wissen. Zieht man sein Brett bei jeder Welle immer zurück, aus Angst vor einer möglichen Konsequenz, dann ist dies ein Grund zur Aufnahme eines mentalen Trainings. Trotz ihrem traumatisierenden Erlebnis damals in Indonesien sagt Kim: «Panik hatte ich noch nie. Ich bin ein sehr lösungsorientierter Mensch und kann trotz Angst unter Wasser noch klar denken. Meine Methoden kann ich mittlerweile an mir selbst anwenden, musste das aber auch zuerst lernen.»

Leistungsmindernde Emotionen: Was tun?
Nicht nur Angst kann unsere Leistung hemmen, auch Unsicherheiten in einem vollen Line-up oder Frust. Emotionen wie diese wirken sich negativ auf unseren Körper, unser Spassempfinden sowie unsere Leistung aus. Die durch die Natur hervorgerufenen Veränderung des momentanen psychologischen und physiologischen Zustands beeinträchtigt unser Surfen und es kann sogar zu einem Komplettausfall gelernter Bewegungsabläufe, einem sogenannten Paralysieren, führen. Solche negativen Einflüsse aufs Wellenreiten zu eliminieren, sowie Mut und Selbstvertrauen aufzubauen, ist das Ziel von Kim. Sie glaubt, dass geteilte Freude doppelte Freude ist und hilft deswegen Surferinnen und Surfern über diese emotionalen Blockaden hinwegzukommen. Ein mentales Training sei genau so nützlich wie ein physisches Training und schlussendlich wollen wir doch alle dasselbe: mehr Wellen surfen.

Fitness für den Geist
«Klar hast du deine mentale Stärke nicht einfach so aufgebaut, wenn du eine Woche vor deinen Surfferien einmal ein mentales Training machst, genau wie ein einmaliger Besuch beim Fitnessstudio nichts bringt.» Mentales Training ist ein Prozess und muss gelernt werden. Bei richtigem Training kannst du deine Performance verbessern und lernen, unnötige Tricks deiner Psyche zu erkennen. Wissenschaftlich erprobte und bewährte Methoden wie Visualisieren, Selbstgespräche oder Hypnosen werden angewendet, um blockierende Gedanken und Emotionen umzuprogrammieren. Es dauert seine Weile, bis antrainierte Automatismen und Gewohnheiten verändert werden können, weshalb es Sinn macht, seine persönlichen Schwachstellen in mehreren Mentalsessions anzugehen. Kim macht Onlinekurse, coacht persönlich und macht auch regelmässig Intensivwochen in Portugal und Lombok. Die Teilnehmenden arbeiten an ihrer persönlichen Surftechnik mit einem erfahrenen, lokalen Surf Coach und parallel an den mentalen Hürden mit Kim: «Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell Schalter in den Köpfen umschalten können, manche Teilnehmer durchlebten extreme Transformationen während nur einer Woche!»

Mentalcoach Kim
Bild: Lynn Tyson.

Psychisches Training für Profis und Amateure
Mentaltraining gehört bei den Surfprofis auf höchstem Niveau zum Alltag. Die psychologischen Herausforderungen an Wettkampfsurfer/-innen wie Leistungsdruck, Angst vor Verletzungen, Motivationsschwankungen etc. erfordern extreme mentale Stärke und Durchhaltewille. Mentaltraining im Profisport ist schon lange kein Geheimnis mehr und ein weiterer Baustein zum internationalen Erfolg. Für Freesurfer jedoch ist das Angebot an psychischem Training beschränkt. Kim entschied sich bewusst gegen die Arbeit im leistungsorientierten Umfeld, nachdem sie als Massagetherapeutin eine kasachische Profisnowboarderin begleitete, die sich auf Olympia vorbereitet hat: «Das kompetitive Umfeld sagt mir ganz und gar nicht zu. Lieber arbeite ich mit gleichgesinnten Leuten, die motiviert sind und Spass am Reisen haben.» Ihr Training richtet sie hauptsächlich an Surf-Intermediates, die offen und gewillt sind, die Angst vor grossen Wellen, vor Blamage, wiederkehrender Selbstkritik oder Einschüchterung durch andere Surfer oder Wellen ein für allemal aus der Welt zu schaffen.

Lebensschule Wellenreiten
Ganz oft sind beim Surfen Verhaltensmuster aus dem Alltag wiedererkennbar – oder wohl eher umgekehrt: aus dem Leben ins Wasser kopiert. Eine eher ängstliche, unsichere Person wird sich auch im Line-up entsprechend verhalten: Meiden von Konfrontationen, ständiges Aus-dem-Weg-Paddeln, fehlendes Commitment beim Take-off. Das Mentaltraining von Kim setzt beim Surfen an, kann aber über diese Grenzen hinaus positive Wirkung zeigen. Dies hat sie schon oft erlebt, vor allem bei ihrem Hauptklientel, das sich aus meist weiblichen Surferinnen zwischen 25 und 45 Jahren zusammensetzt. Es gibt jedoch auch die andere Seite: Surferinnen und Surfer, die von Emotionen und mentalem Training gar nichts wissen wollen. «Hier stosse ich auf taube Ohren und das ist auch in Ordnung. Zeigt der Betreffende doch Interesse, analysiere ich eine Surfsession und schaffe dadurch erst einmal ein Bewusstsein für das eigene Denken und Fühlen. In der heutigen Zeit mit all dem Stress tut es gut, sich der Entwicklung seiner Persönlichkeit zu widmen. Hier hat die Popularität des Yogas extreme Arbeit geleistet.»

Expertentipps
Um keine emotionsbedingt unbefriedigende Surfsession zu erleben, kannst du schon vor dem Eintauchen ins Wasser Massnahmen ergreifen.

  • Als erstes ist es wichtig, einen Spot und eine Wellengrösse gemäss deinen Skills und deiner derzeitigen Verfassung zu wählen. Spotwahl ist key! Hast du deine Welle des Tages gefunden, dann nimm dir Zeit für einen gründlichen Spotcheck: Gefahren, Strömungen, Anzahl Setwellen, Dauer zwischen den Sets und das Verhalten der anderen Surfer im Wasser.
  • Bist du eher ängstlich, dann suche sogenannte Safety Zones: Wo kann ich mich aufhalten, um Pause zu machen? Was mache ich, wenn das Set des Tages anrollt, wohin gehe ich, wenn ich im Weisswasser gefangen bin und nicht mehr weiterkomme? Solche Wenn-Dann-Möglichkeiten im Vorab zu besprechen helfen dir, selbstbewusst ins Wasser zu gehen.
  • Gerätst du trotzdem in eine brenzlige Situation im Wasser, so ist es wichtig, Ruhe zu bewahren. Dies ist dein Schlüssel, die aus der Panikkammer führt. Versuche deine Herzfrequenz im Falle eines unerwartet langen und heftigen Waschgangs zu kontrollieren, verlangsame sie wenn möglich und kämpfe nicht gegen die Welle an. Denke an etwas komplett anderes, etwas das dich beruhigt – ein Objekt, einen Ort, zähle die Sekunden oder singe ein Lied.

Mentaltrainingsübung #1 gegen Panik nach einer Waschmaschine
Setze dich hin oder stehe aufrecht und atme ganz bewusst tief bis in den Bauch ein und aus. Zähle beim Einatmen auf 4 und 6-8 beim Ausatmen. Wichtig ist, dass du länger aus- als einatmest. Diese Übung beruhigt Körper und Geist extrem. Mache das jeden Tag für 2-3 Minuten während mindestens 20 Tagen vor deinem nächsten Surftrip, damit sie zur Gewohnheit wird. Du wirst dich schnell beruhigen können, wenn du diese Übung bei Stress im Wasser umsetzt. Willst du es noch etwas surfgetreuer ausführen, dann mache die gleiche Übung nach einer körperlichen Anstrengung wie rennen, Treppen steigen oder einer emotionalen Aufregung, die deinen Körperzustand an Stelle des Paddelns im Wasser imitieren.

Kim am Strand
Bild: Drop In Surflodge.

Mentaltrainingstipp #2 bei Angst-/Frustrations-/Minderwertigkeitsgefühl
Ersetzte dein negatives Gefühl mit einem positiverem. Frage dich selbst: Wie will ich mich stattdessen fühlen? Sicher und mutig zum Beispiel, statt eingeschüchtert und frustriert. Lege dir passend zu deinem Gefühl ein Bild und ein Schlagwort bereit, beispielsweise ein Tiger mit «bleib stark» oder Big Wave Surfer Kai Lenny mit «ich getraue mich». Diese Technik soll unbedingt schon im Alltag geübt werden: In Ausnahmesituationen das positive Gefühl anhand des Bildes aufkommen lassen. Auch im Wasser wird dich das vor Augen geführte Bild beruhigen/bestärken können.

Mentaltrainingstipp #3 Ausblenden von Störfaktoren
Erkennst du eine mögliche Angst-/Paniksituation früh genug, so willst du störende Faktoren oder Emotionen ausblenden und die negativen Gefühle gar nicht erst aufkommen lassen. Was dir hilft, ist den Fokus auf eine ganz bestimmte Aufgabe zu legen, z.B. das Paddeln beim Anrollen eines Riesensets. Hierzu auf stur schalten, nur an die eine Aufgabe denken und beispielsweise im Rhythmus dazu zählen. Statt zu zählen, kann man auch ein Selbstgespräch nutzen, um den Fokus zu behalten: «Ich schaffs» oder «Ich kann das» abermals zu wiederholen, sind zwei gute Beispiele. Durchboxen und den Fokus auf das Wesentlichen lenken!


Kim Chareonbood surft seit 2005, plant gerade nach Spanien auszuwandern und ist dipl. Sportmentaltrainerin (Sport Mental Akademie Zürich) sowie Life-Coach & dipl. Hypnosetherapeutin nach NGH.

Onlinekurse, Coachings und Intensivwochen für Surfer/innen findest du auf www.surfmentaltraining.com und auf Instagram unter @fearless_surfer.

Kim nach der Surfsession
Bild: Drop In Surflodge.