Eine Nacht auf einem Zürcher Balkon. Charly versucht verzweifelt an ein neues Surfbrett zu gelangen. Welches? Wohin geht es überhaupt? Wieso antworten die Shaper nicht?

Charly starrt auf den Bildschirm des zu kleinen Laptops, dessen Betrieb die Decke über seinen Oberschenkeln aufwärmt. Die einzige Lichtquelle ist der Bildschirm. Die Nächte in Zürich werden wärmer, doch ist es noch leicht frisch draussen nach Sonnenuntergang.

Der geplante Flug nach Zentralamerika findet wahrscheinlich nicht statt. «Doch, doch, wir haben noch keine Absage», hört er Sheila kommentieren, obwohl sie gar nicht da ist. Girls Night Out. Er erinnert sich offensichtlich an den Dialog vom Mittag, keine Neurose, keine Folge von Fremdstoffen, alles ok. «Als ob, mit Zwischenstopp in Spanien geht eh nicht, scheiss Corona. Also eigentlich ist das ganze ja auch cool, Wurzeln in Zürich schlagen, viel Skateboarden….» Er unterbricht sich selbst und sieht, dass Sheila nur etwas Fernweh hatte ausleben und mindern wollen. Seine Hilfe war gefragt, kein kühler Rationalismus. Das war Stunden zuvor.

Die kühle Temperatur und der Bildschirm zogen Charlies Aufmerksamkeit wieder auf sich. Es ist noch gerade so Wintersaison, vielleicht geht ja was in Frankreich. «35 Liter, 33 Liter oder doch fetter? Sogar dünner? Soll ja gut paddeln… 6 Fuss, 6 Fuss und ein Inch? Verdammt, und wenn das Brett dann doch die falschen Dimensionen hat und du voll verkackst und dich selbst hasst deswegen und deine Selbstsicherheit schwindet und das alle riechen im Line-up und du daher noch weniger Wellen kriegst und nie wieder gute Laune hast…», fantasiert er manisch.

Lost Indonesien baut Boards, die seltsam aussehen und sogar der Boss selbst (Mayhem/Biolos) schreibt auf Insta: «Get the frickin angle right, the carbon tail patch isn’t right!» Er hatte schon im Dezember mit Puffer für indonesische Stringenz oder eben Verzögerung die Order platziert und anbezahlt. Pustekuchen. Statt eigentlich an Ostern nach Bali geflogen zu sein, ging es momentan ums Streetskaten. Fuck Lockdown.

Es störte noch etwas den nächtlichen Seelenfrieden. Dieses störende etwas war jene Tatsache, dass die eigentlich für ihn bestimmten Boards nun erst angefertigt werden mussten. Dies zu Zeiten, während denen auch in Bali Lockdown herrscht und kaum Touristen umherstreifen, um ihren Mammon in Wellenreitvehikel zu investieren. Denn die von Charly vorfreudig bestellten Boards waren angezahlt und auf dem Weg zur Fertigstellung. Zu Charlies Glück konnte er den Deal machen, dass jene bestellte Boards vor Ort verkauft werden und dann die Anzahlung zurückfliessen sollte. Wahrscheinlich erst nach dem Lockdown in Bali. Die Flüge und so weiter waren auch nicht zurückbezahlt worden. Geld muss da sein, ein neues Brett muss her. Das ramponierte Fish hat nach 100 Tagen El Salvador bis Panama letztes Jahr die Optik eines pickligen Pubertierenden, nur eben in Grau mit weissen Flecken. Die eine Finnenbox war zwar abgedichtet, aber der Winkel war anders. Es begann ihn wirklich zu jucken und ausserdem verursachte Skateboarden Schmerzen, die er mochte als sportlicher Freizeitmasochist. Der Schmerz ist beim Surfen geringer, die Sonne und das Meer eine schöne Abwechslung zum Asphalt und Metall. 

«Neues Board, hm, ja. Das Retroripper mit Pintail, gut wenn es knallt und steile Wellen gibt. Klar, schmeiss ich mich da wieder rein. Genau, nicht zu dick, geht klar», faselt er sich selbst in eine Board-Dimensionen-Check-Trance. Ein dunkles Zimmer, ein Lichttrichter und der irre stierende Blick eines erwachsenen Mannes auf jene Bretter. 

Eine spontane Nachricht an den Insta-Account von Lost-Hossegor half. Er hatte eigentlich vor, über surfari.ch zu ordern, wie sonst auch. Leider antwortete die Olatu-Crew dem Schweizer Surfshop nicht. In Spanien ist einfach gerade auch egal anscheinend, denen zumindest. Die Olatu-Crew ist sozusagen die Chef-Fabrik für diverse Firmen. Wenn nicht die, dann sind es wohl die von Pukas. «Alles verpeilte Lappen», nuschelt Charly vor sich hin, als er seine letzte nervige Nachricht an den Surfari-Store liest. Selbstzweifel wuchsen in ihm. War er zu penetrant? Nervte er die Leute vom Shop? Lag es letztendlich an ihm, dass er nun nie wieder nirgends ein neues Surfboard bekommen sollte? Wird er für immer surfboardloser Charly genannt werden? Dies galt es abzuwenden. Lost-Hossegor, ja, das geht bestimmt. 

«I ask them, I got the private number», antwortete ihm Tristan, der Manager des Stores in Frankreich, via IG. Charlies dystopische Visionen zerflossen in sich auflösende Schatten. Partytime. «Nerven funktioniert wohl, nur nicht immer dieselben Shops und Shaper», notierte sich Charly mental für ähnliche Situationen in der Zukunft. Weinrot, weisses Lost-Logo, schön. So soll es sein. Jetzt beginnt die Wartezeit und der Lichtkegel geht aus in Charlies Zimmer.