Wie das Wellenreiten dich und dein Leben aufsaugt, obwohl du in einem Land ohne Ozean lebst. Platonische Liebe? Wellenaskese? Masochismus? Warum verfolgt man in der Schweiz überhaupt eine solche Betätigung?

Nur weil du einmal im Jahr ins Skigebiet fährst, um dort nach vier Abfahrten mit Glühwein anzufangen, bist du noch lange kein Skifahrer oder Wintersportler, stimmts? Nehmen wir mal an, du lebst in Alpennähe und fährst am Wochenende regelmässig zum Snowboarden oder Skifahren. Bist du dann wirklich real, bist du dann ein Shredder? Für viele, die sich eben als solche sehen, ist dieser Unterschied identitätsstiftend und wichtig. Nach 25 Jahren in der Skateboardszene, fünf ganzen Wintern in Zermatt und nun ein paar Jahren Surftrips wurde das komplexe Thema der Realness oder eben dem Gegenteil in diversen alkoholbeeinflussten Konversationen erörtert. Dafür reichen deine Zeit und der Zweck dieses Texts aber nicht aus.

Für die gesamte Szene sind die Leute im Kern genauso wichtig, wie der Jerry of the day. Soviel sei gesagt. Beim Skaten der Poser, in den Bergen der Jerry, beim Surfen der Kook. Niemand will in diese Kategorie eingeordnet werden und je nach dem, kann diese Beschimpfung ernste, schlagkräftige Konsequenzen mit sich bringen. Was soll nun aber der North-Shore-Local von einem Schweizer Surfer denken? Gibt es einen Ausweg, aus dem Kook-Sein, ohne die Schweiz für lange Zeit zu verlassen? 

Surf Van Life
Romantisch oder seltsam? In diesem Gefährt zu zweit, ohne fliessend Wasser oder Toilette, an einer nicht allzu schönen Küstenregionen auf Wellen warten.

Vielleicht würde Siegmund Freud sagen, der Schweizer Surfer an sich versuche, seinen Komplex durch das Zelebrieren eines jeden Gewässers im Inland und möglichst vielen Reisen an ein richtiges, grosses, echtes Gewässer, eben das Meer zu kompensieren. Der Komplex prägt sich kulturell nun postmodern weiter aus und das Unterbewusste nimmt pathologische Muster an. Das Es versucht, durch künstliche Wellen, Wavepools, mehr und mehr Surfshops sowie Surfparties oder auch Surfer-Fashion das tiefsitzende Trauma zu unterdrücken, keine Küste zu haben. 

So ist das eben mit dem Ozean und dem Surfen. Die Schweizer Wellenreiter sind ein Exempel, welches von dieser Sucht am Menschen statuiert wird. Surfen ist ein von aussen nicht zu durchdringender Haufen seltsamer Verhaltensweisen, Terminologien, Manierismen, Modeerscheinungen und langfristig wirksamer Entscheidungen, die dein Leben verändern. Für die meisten, die einmal angefangen haben, ist es kaum noch wegzudenken, nicht ganz zumindest. 

Takeoff beim Surfen
Das Gefühl der Beschleunigung während dem Take-Off. Einer der Gründe, warum das Wellenreiten ein One-Way-Ticket wird.

Der reiche Schweizer, der durch sein Öko-Strohhalm-Start-Up Kohle gemacht hat, geht in seiner Start-Life-Crisis auf seinen ersten Surftrip. Der Fitness-Disko-Pumper-Bro findets geil, weil oben ohne sein am Strand geil ist. Die Yoga-Uschi, die ihre total intensive Beziehung auf einem Surftrip mit möglichst vielen, neuen, tiefgehenden Erfahrungen und auch Surfen verarbeiten will, geniesst den Ozean-Bliss. Nun sind alle drei angefixt, früher oder später. Mehr oder weniger, will der Bro seinen Trainingsplan auf Eis legen, um auf einen Surftrip zu gehen. Mr. Start-Up möchte sein zweites Unternehmen lieber etwas später gründen und nach Indonesien reisen und Uschi löscht vielleicht sogar Tinder von ihrem Smartphone. Surfen ist emotional so bunt, dass anderes plötzlich in neuem Licht erscheint. Es ist ein Transportmittel in ein anderes Leben, das nun zu wenigstens einem Prozent Surfen beinhaltet. Die Prozentzahl wird wachsen.

Surfen wird zu deinem Ende, dass du auslebst, bis du nicht mehr kannst. Arbeit, Freunde, Beziehung und alles andere wird durchdrungen von deinem Wunsch nach dem nächsten Trip, der nächsten Welle. Man könnte dich auch je nach Ausprägung egoistisch nennen oder narzisstisch oder verrückt. Dinge haben keinen Sinn, wir ordnen ihnen jenen zu, durch bewusste Entscheidungen oder unbewusste, doch das ist Sache der Menschen. Du bist also verloren. Nicht ehrenvoll, nicht abenteuerlich, nicht für den hohen Zweck, so wie in den Surffilmen, die du kennst, nein. Deine Gedanken drehen sich um dich, deine Welle und wie du dir das ermöglichen kannst.

Popkulturell soll der feste Griff, in dem dein Sein inklusive Verstand sich befindet, ausformuliert werden, extrahiert, vermarktet. Das ist ganz normal, recht so und so lange genug Geld zurück in die Surfszene fliesst, sogar auch positiv. Nun stellt sich aber die Frage nach dem Erfassen des Surfens an sich, welches dich in die Beschaffungskriminalität treibt und dein Leben ändert. Was ist das bloss.

Ausblick auf Ozean
Du fährst über ein Plateau eine ungesicherte Strasse hinunter. Dir eröffnet dieser Anblick. Ein Traum für alle, die an der Nadel des Surfens hängen.

Die Surfkultur selbst schafft es nicht, auf die Frage klarzukommen und CEOs lenken jene Belange längst, die die Surfer betreffen. Nehmen wir einen bereits bis zur Redundanz getriebenen Vergleich von Surfen und Zen. Der britische Philosoph Alan Watts erzählte eine Geschichte, in der der Zen-Meister gebeten wurde, einen Vortrag über Zen zu halten. Menschenmassen versammelten sich und warteten darauf, die Einsichten dieses Experten auf dem Gebiet zu erfahren, an dem sie unbedingt teilnehmen wollten. Dass sie Geld bezahlt hatten, um zu kommen und zu sehen. Der Meister ging auf die Bühne, tippte mit dem Fingerknöchel auf das Mikrofon und ging sofort zurück. Vortrag beendet. Der Versuch, das Surfen in einen Rahmen zu stellen, ist wie der Versuch, Wasser mit einem Netz zu fangen, um die Zen-Analogie ein wenig weiter voranzutreiben. Man kann es nur wissen, wenn man es ist. Kotz, würg. 

So wie bei dem Kletterer, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, diese eine Felsplatte zu meistern. Oder wie bei der Balletttänzerin, die ihr halbes Leben darauf verwendet, Perfektion in dieser einen Kür zu erlangen. Grundlose Determiniertheit, wundervoll. Da ist Schönheit, oder? Geht diese Schönheit aber auch mit Horror Hand in Hand, wenn man die Hände des Kletterers oder die Wirbelsäule der Ballerina ansieht? Es gibt keinen narrativen Bogen oder eine Erlösungsgeschichte, nichts was den Horror oder die Schönheit auflöst oder erklärt. Wenn man alles zu einem ordentlichen Päckchen zusammenbindet, sieht es aus, als würde man in die Sonne starren, um das Zentrum zu sehen. Es bringt nichts, ausser ein dummes Gesicht. Nur ein blendendes Durcheinander von über Lebenszeiten angesammeltem Wissen, Liebe, Hass, Ärger, Frustration, Hochstimmung, das nur von denen aufgehoben werden kann, die es durchgemacht haben. Nur ein Surfer weiss, dass das formulierte Gefühl ausgehöhlter klingt als eine Pressemitteilung der WSL. Vielleicht zitiere ich Biggie Smalls falsch und sage: «If you don’t know, now you know.»