Einen Abend vor der Rückreise trifft Swell Ophelia auf den Azoren ein und Charly lernt ein wenig mehr über sozialsportive Nutzung des Wasseroberflächenraumes im Konstrukt des Line-ups. Aggressionen, tote Arme und eine Lektion über richtiges oder falsches Verhalten im Wasser.
«What the fuck do you think you do?», knarrte eine heisere Stimme hinter mir. Der Mann, der im Line-up nicht so nah am Peak der Welle sass, war lokalen, inselportugiesischen Ursprungs, soweit meine Intuition betreffend Ethnien das sagen konnte. Was das Problem war, verschloss sich mir in diesem Moment offensichtlich und mir wurde mulmig. «Jahrelange Kampfsporterfahrung helfen eventuell nicht gegen einen Parkplatz voller Locals auf einer zu kleinen Insel», wägte ich innerlich ab. Ich hatte mich ziemlich lange nicht mehr geprügelt. Mir wurde mulmiger.
Der Sprecher sah dazu noch so aus, als wäre sein dunkler Teint einem Grau gewichen, welches nie die Sonne gesehen hatte. Das einzige, was noch fahler wirkte als seine Haut, waren seine anthrazitfarbenen Augenringfalten, in denen seine soziophatischen Augen ruhten. Dort lagen sie wie eine Kugel Eis in einem Hörnchen aus Gewaltbereitschaft. Er hatte abrasierte Haare und seine Mimik glich der eines Silberrückens, der gleich den Dokumentarfilmer angreift.
«I just take a break out here» als Antwort meinerseits beruhigte Mr. Gewaltbereit nicht. Im Gegenteil. Nun drehten sich einige aus dem Line-up zu mir um, die vorher entspannt in Richtung Ozean starrten. Meine Aussage wurde wohl als Widerrede interpretiert.
Die letzten Tage zuvor waren flat as fuck und wir schlugen dekadenterweise die Zeit tot, in dem wir die Küsten und Berglandschaften der Azoreninsel erkundeten. Ich zeigte Maria, meiner besten Freundin, Jonas, ihrem neuen Freund, den wir gemeinsam in Portugal kennenlernten und Larissa, meiner Freundin, die von mir bereits erkundeten Teile der Insel. Orangenanbau war lange der Wirtschaftsmotor und die portugiesische Hauptstadt lag einmal hier. Das muss zu den Zeiten der grossen Seefahrernation Portugal gewesen sein.
Ein Pilz vertrieb die Orangen und die Seefahrernation ist heute keine mehr. Niedrige Durchschnittslöhne und hohe Arbeitslosigkeit ist hier, wie in grossen Teilen der EU, nun das grösste Problem. Surftourismus und Export von Milchprodukten sollten helfen.
Hier waren wir also und Pastel del Nata, Hasch und Bier trieben uns durch die Stunden. Dann wechselte der Forecast auf angsteinflössend gigantische 5m auf 16 Sekunden. Sturm Ophelia sollte über die neun Inseln fegen. Ophelia, die morbide Geliebte Hamlets aus den alten Gedichten der grossen Meister der Poesiekunst war namensgebend für die Luftbewegungen und Wellenenergien.
«(…) und nieder fielen die rankenden Trophäen
und sie selbst ins weinende Gewässer.
Ihre Kleider verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenen gleich ein Weilchen noch empor,
indes sie Stellen alter Weisen sang,
als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
wie ein Geschöpf, geboren und begabt
für dieses Element.»
– Heym
Der Swell sollte am Samstag unseres Abflugs ankommen und wir trauten unseren Augen kaum, wie sanftmütig bereits am Freitagnachmittag vor dem Impact des Hauptswells die Linien dem Strand entgegenglitten. Der Parkplatz vor der Holzbohlenrampe neben der lokalen Rennstreckenhauptstrasse war voll. Vorbei an der 1-Euro-Bierbar mit den fettesten, triefendsten Beef-Sandwiches, die ich je gesehen hatte, kamen wir gerade dort an und parkten uns dazu.
Die Energie des Wartens war sichtbar in Nervosität umgewandelt und auf dem Kopfsteinpflasterparkplatz wuselte es vor Gebrauchtwagen, Mietwagen der Touris, diversen lustigen Cliché-Surfer-Bussen und allerlei wellengierigen Prototypen. Umgewickelte Handtücher, Neoprenanzüge an Kleiderbügeln und über offene Türen gehängt, Musik, Jointrauchschwaden und Sonnenbrillen steckten uns an. Jeder, fast jeder zumindest, lächelte – manche mit psychopathisch leuchtenden Augen, manche, als würden sie in eine Schlacht um Leben und Tod ziehen, vorfreudig.
Jonas war längst weg, als Maria, die 160cm mass, mich anlachte und hoffte, dass ich ihr Foamboard für sie tragen könnte. Ein «irgendwann musst du das lernen» meinerseits stiess jedoch ein wenig Unmut an und es gab eine kleine Diskussion über Lernen, Gentleman sein und Männer von heute.
Der Disput endete jedoch recht fix, als sie eben merkte, dass ihr Freund längst die Leash um den Fuss hatte und vierhundert Meter weiter am Strand stand. Die beiden Mädchen versuchten sich an einem der Peaks der Beachbreaks während Jonas und ich weiter zur rechten Seite, zu den grossen lavaschwarzen Pebblestones paddelten. Ein Set war schöner als das andere und die langen leicht abfallenden Linien bildeten geschmeidig brechende Wände aus geripptem Grau im Schatten einer der wenigen Wolken des Tages. Es war semi-crowded, wenn man Arugam Bay als Vergleich kennt.
Jonas lächelte mich mit einem zugekniffenen Auge an und hatte einfach ein graues T-Shirt an für die «kurze Session». «Da lohnt sich doch der Neostress nicht», fügte er auf dem Parkplatz an. Plansch, plansch, blubb, zog er davon.
Zug um Zug spürte ich warmes Benzin, die Milchsäure in meinen Armen und Schultern, denn trotz flachem Ozean haben wir jeden Tag gepaddelt, um was es zu paddeln galt.
Egal – unterm Brett durch, den gestreckten Arm wieder aus dem Wasser und durch die Luft nach vorne, eintauchen und drücken. Bloss dran denken, den Rücken durchzubiegen nach oben bis es krampft. Füsse zusammen und Beine strecken muss auch sein. Bei jeglichem Blickkontakt natürlich so tun, als wäre man nichts anderes gewöhnt und dies keinen müden Kommentar wert.
Chillen, wie immer eine Stelle suchen und auf die eigene Welle warten, «auf der dein Name steht», wie Jota in Galizien mir immer sagte. Seine Stimme erklang in meinem Kopf: «Costa Rica, take it easy, wait for the one with your name on it.» Fuck, ich hörte diese Stimme echt jedesmal beim Rauspaddeln in meinem Kopf, seit meinem dritten Surfkurs vor drei Jahren in Ferrol.
Jonas hatte sich für die kurze Schulter des A-Frames entschieden und wartete demnach weiter rechts vom Strand aus. Da er Goofyfooter war und ich regular, ergab sich dieser Umstand öfters, ich genoss jedoch seine entspannte und natürliche Art im Wasser, während ich eher verkopft und spät versucht hatte, das Surfen zu lernen. Einige Monate in Frankreich und Portugal als Surfcamp-Koch taten seinem Mojo offensichtlich gut.
Abschweifend und glotzend sass ich da, als sich mein Bewusstsein pupillenartig aufzog und ein prachtvolles Set erkennbar wurde. Ich sass gut und konnte ahnen, dass mein Name dort irgendwo in diesen Wellen zu lesen war. Also dann, nach hinten lehnen, Spitze des Bretts drehen, über die Schulter schauen und gib ihm Saures! Jeder Paddelzug brachte mich an die Grenze meiner Kraft und all meine Power pumpte ich hinein in das Wasser unter mich. Tagelanges Warten auf gute Wellen, Wanderungen durch den Jungle zu abgelegen Peaks wie Santa Iria und spürbar aufkommender Frust konnten nun ein Ventil finden und von mir gleiten, wie ich die Wand aus Wasser entlang. Vielleicht.
Pumpen, drücken, beobachten, wachsam und aufmerksam sein, den Schwerpunkt tief halten und den Körper übers Brett unter den Kopf saugen, Füsse aufstellen und ähm, ja hoffen irgendwie alles richtig gemacht zu haben.
Es gelang tatsächlich und ich konnte die Wand entlang trimmend eine auf und ab Linie entlang ballern. Die Welle war für meine Verhältnisse recht schnell, die Wand war lang und ich konnte, ohne Angst einzusinken, Gas geben und geniessen.
Natürlich, wie auch sonst, verdammt nochmal, sah ich vor mir in der Welle einen paddelnden Oberkörper hektische Bewegungen durchführen, einen fetten Wixer mit sogar im Ozean schmalzigen Locken. Nein. Doch. Er tat es. Er droppte. Ich sparte mir eine Konfrontation und revanchierte mich beim nächsten Set. Er sah sich um, wer ihn da gerade verbrannt hatte und konfrontierte mich aber nicht. Ich denke, er wusste warum. Ha, meine Welle war zwar Mist, aber das tat gut. Von weitem konnte ich nun näher an den Beachbreaks Larissa und Maria winken, bevor ich den Rückweg antreten durfte.
Solche Hahnenkampfsituationen und Drops verkrampfen mich immer und ich finde für einen kurzen Moment das Surfen einen dummen, egomanen Arschlochsport für ungeliebte Narzistenkinder.
Das nächste Set war grösser als die anderen und der Wind nahm leicht ablandig zu. Weisse Flocken kitzelten am Kamm der Welle und die Gischt flog flirrend in die Luft. Ich war nicht ansatzweise nahe genug an der mir entgegenkommenden Front, um nicht von dem hereinbrechenden Wellendach erfasst zu werden. So sei es. Helldunkel, mehr von Helldunkel, warten, nicht atmen, die Panik unterdrücken, auftauchen und hoffen.
Abgekämpft und innerlich blockiert von Gedanken über Egos, meinen Geist und sonst was für mentalem Sauerkraut konnte ich mich nicht mehr konzentrieren und war irgendwie raus. Ich beschloss, weiter auf den Ozean zu paddeln und in Sicherheit durchzuatmen. Alles mal sacken lassen, ach wie schön. Meine Schultern hingen mir vom Körper und mein Kopf gesenkt, genoss ich die Ruhe, das tragende und beherbergende Auf und Ab des Swells. Ich genoss den beginnenden Sonnenuntergang.
«Don’t peak my wave, motherfucker, what the fuck do you think you do?», ertönte es nun hinter mir und zog mich zurück ins Jetzt. Nach meinem Erklärungsversuch und dadurch nur noch mehr Locals, die mich anstarrten, als hätte ich ihr Weihnachtsgeschenk gefressen, war es wohl das Klügste, weiter weg zu paddeln.
Breit machten sich Gedanken der Schwäche, Bilder von Gewalt und meine schlagenden Fäuste in der Luft, gekränkter Stolz sowie das Gefühl, den Schwanz eingezogen zu haben. Ich schaffte es nicht mehr, eine der angesteuerten Beachbreakwellen zu surfen und bodyboardete zum Strand.
Sagen wir, eine Rückankunft am Parkplatz sah sicherlich schonmal euphorischer aus, doch gut fühlten wir uns alle, jeder mit seiner Geschichte und seinen Momenten der letzten Session. Wir tauschten Blicke aus und unsere Geschichten kamen wiedereinmal zu einem zusammen.
Am nächsten Tag schauten wir uns zum letzten Mal Santa Barbara an und der Strand war bis zu einer 1.50m hohen Abrisskante abgetragen. Reisebusgrosse Wasserwalzen rollten träge über den Sand und nur ein Lokal versuchte sein Glück. Was für ein Held! Nach einem Wipe-out und einem erfolgreichen kurzen und geradlinigen Ritt auf einem dieser Monster, die unter grauen Wolken aussahen wie flüssige Asche, strich auch er seine Segel und gesellte sich zu uns anderen zurück in die Reihen der Zuschauer. Uns blieb nichts als Staunen. Der Espresso war billig und lecker. Ein leises Jucken bei dem Gedanken an den Rückflug in sechs Stunden wurde spürbar und wir trotteten zu unserem abfahrtsbereiten Mietwagen.