«Die westlichen Nachrichtenmedien trieben die Sau anscheinend durchs Dorf und teilten sich diese Aufgabe mit den sozialen Medien» – wie Charly «die Katastrophe» erlebte.

Die Bambushütte in Lombok wackelte mitten in der Nacht im Juli letzten Jahres und unter Verdacht stand erstmal Tino, der schon lange in Indo reiste und an der Hütte rüttelte. Draussen war jedoch Ruhe und niemand zu sehen, als ich meinen geschundenen Kadaver aus der Hütte bewegte. Das erste Beben war halb so wild, wenig passierte und recherchiert hatte ich nicht. «Vulkaninsel halt eben», dachte ich und die Einheimischen in dem kleinen Dorf in Sumbawa waren wenig verstört.

Kinematografischer hätte das Abenteuer bisher nicht sein können. Scooterfahrten durch unbekannten Dschungel auf der Suche nach einem Spot, den ich auf Google-Maps erkannt haben wollte, neue Bekannte aus Südafrika und Köln, tolles Essen, ein selbst gemaltes Schild für das einzige Restaurant im Dorf (eine Glasvitrine mit Nahrungsmitteln), unberührte Natur und sehr nette, offene Menschen vor Ort waren wie im Traum. Die Strapazen der zwölfstündigen Scooterfahrt zur Fähre nach Sumbawa wurden durch einen kitschigen Sonnenuntergang mit Blick auf den Vulkan in Lombok belohnt.

Die Reise war gespickt von seltsamen Begebenheiten. Zu reiche Schweizer Arschlöcher, die dachten, sie surften, kauften vor Ort grosse Teile einer Küstenregion Sumbawas, um «die Locals fernzuhalten, den Strand zu benutzen und den Zugang zu erschweren». Ich fragte, warum. «Die haben doch genug Strand und für das Geschäft ist ein fast privater Strand eben gut.»

Bungalows

Ich sagte, was für eine egoistische, fiese Idee das war, doch das war egal. Logisch. «Darüber würde ich schreiben, wenn sein Hotel steht», dachte ich. Von der Art Mensch waren viele unterwegs, zu viele. Der Landgrab der Australier lief dort seit Jahrzehnten und nun wurden auch im Westen und Südosten immer mehr Küstenregionen verscherbelt.

Später auf Lombok fanden weitere Erdbeben statt und Steinhäuser wackelten wie ein fahrender Bus auf einer Serpentinenstrasse. Die Einheimischen in Gerupuk schliefen auf der Strasse und hatten Angst, dass ihre Häuser einstürzten. Eine Kaffeeuntertasse und Metallbesteck, die auf einer Flasche balancieren dienten mir als Erdbebendetektor, falls du mal einen brauchst. Nachrichten aus Europa erschienen auf meinem Smartphone, ob ich in Gefahr sei, leben würde und überhaupt. Die westlichen Nachrichtenmedien trieben die Sau anscheinend durchs Dorf und teilten sich diese Aufgabe mit den sozialen Medien. Versicherungen, dass alles gut sei, halfen nicht. Es drängte und drängte und drängte. Eltern, manche Freunde und Bekannte, die sich seit Jahren nicht gemeldet hatten, schrieben dramatische Nachrichten aller Art. Es fühlte sich fast so, als wollten einige zuhause, dass ich Panik schob, dass ich durchdrehe, dass ich auf den Zug aufspringe, schreiend durch den Dschungel davonlief, ohne zu wissen wohin. Die Wahrheit der Medien sollte zur Realität werden. Obskure Verdrehtheit von Fakt und Bericht, dachte ich und wollte einfach nicht mehr auf mein Telefon schauen. Ich stieg auf den Mietscooter und fuhr den Dschungelpfad durch die Hügel nach Kuta-Lombok.

Ein verdammt gutes Restaurant dort, betrieben von einem mexikanischen Expat, bot kulinarisches aller Art und war gut eingerichtet. Kupferbecher enthielten gute Drinks, das Soundsystem war laut und klar, ohne zu stören. An der Decke waren Metallverstrebungen, über die alte Holztüren gelegt wurden – als Deko, yes.

Restaurant auf Lombok

Gin-Tonic, ein Liter Wasser, ein triefender Doppelcheeseburger und eine Tuna-Poké als Vorspeise. Dieser spezielle Hunger nach intensiver körperlicher Betätigung ist ein Segen. Wenig verursacht so viel Heisshunger wie Surfen. Ich habe über die Zeit einen Post-Surf-Völlerei-Fetisch entwickelt und diesen mit anderen zu teilen, ist schlichte Seligkeit. Ich liess meine Zähne in das saftige Burgerfleisch sinken und war verzückt, als der Boden anfing hin- und herzuschieben, als würde ein Zug in den Bahnhof einfahren. Das Klirren, Wackeln, Umfallen, Vibrieren, das schummerige surreale bewegte Umfeld war so seltsam, dass man es nicht fassen konnte. Türen auf Stahlverstrebungen über mir. Kurz dachte ich an Final Destination oder eine ironische Komödie.

Schreie, rennende Menschen, umfallende Stühle, panische Gesichter und ich in der letzten Ecke des Restaurants, der versuchte zwischen Umgeranntwerden und Flucht zu performen, ohne an die Türen zu denken. Auf der Strasse ergoss sich Massenpanik.

Roller verhedderten sich in Rucksäcken, Menschen bettelten um Plätze in einem Bus und sprangen auf vorbeifahrende LKWs und als dann noch ein Polizist irgendwas von Tsunami laut verkündete, war die Stimmung komplett im Eimer. Menschen rannten in die Richtung, wo sie Berge vermuteten. Geografisch ist das Epizentrum, wo die Nachbeben stattfanden, auf dem Festland und nicht in den Tiefen des Ozeans, wie damals in SriLanka. Ausserdem ist Lombok im Süden von Hügel umgeben und vielen Buchten, was die Tsunamigefahr relativiert. Auch Tage später war dies für viele Westler nicht annehmbar. Warum, war mir ein Rätsel. Es war schlimm und es sollte schlimm bleiben, was in Ordnung war. Eine Art Sensationslust in Richtung der eigenen Person strahlte mich an.

Ich spürte wieder diese Abneigung gegen mich selbst als Teil unseres Kulturkreises. Es war, als wollten die Menschen das Drama leben, endlich eine lebendige Erfahrung auskosten.

Bisheriger Stand: Ein toter Tourist, Ursache: Herzinfarkt. Wie sie alle panisch wegrannten und sich in Kuta Lombok gegenseitig über den Haufen rannten, machte mich aggressiv. Nach dem Erdbeben blieb ich vor dem Restaurant und rauchte, eventuell aus Naivität oder Dummheit. Ich ass mit den Einheimischen nach ein wenig Smalltalk von den Tellern die feinsten Bestellungen und wir leerten Drinks en masse. Das Restaurant war leer und die Strasse verlassen. Verblüffender Weise war das Restaurant zwei Stunden später wieder so voll wie vorher und ich satt auf meinem Scooter.

Sonnenuntergang auf Lombok

Von einer eventuellen Ignoranz und Trotz getrieben, wollte ich dann am nächsten nach Bali fliegen, um ein neues Brett zu kaufen – danach zurück nach Lombok, ins Erdbebengebiet in spe.

Ich betrete die Flughafenhalle und westliche Menschen kampieren auf Pappkartons, sich umeinanderdrängend wie Bakterienherde in einer Petrischale. Niemand verletzt, niemand blutet. Während der Erdbeben im Sommer 2018 wurde Berichten zu Folge kein westlicher Tourist verletzt oder getötet.

Durch mein Hirn huschen Snapshots aus den sozialen Medien, die ich in den letzten Tagen nach dem Beben konsumiert hatte.

Panik und Dringlichkeit haben den Flughafen in ein Chaos verwandelt. Botschaften richteten Notfalltische ein und Kamerateams fokussierten jeweils rahmenlos die Dramainseln der westlichen Traumakinder. Vielleicht ist es unsere Ignoranz gegenüber dem angebrachten Schrecken meiner ethnisch nächsten Verwandten, den Europäern, geschuldet, doch es widert mich regelrecht an und ich möchte sie ohrfeigen, sie von ihren Flüchtlingslagerpappinseln schleifen, schütteln und rufen: «Checkst du nicht, dass du heimfliegst? Dass du hier nicht das grösste Problem hast?» Vielleicht bin ich ein ignoranter arroganter Snob. Vielleicht sind die Millenials auf ihrem Flüchtlingslager in spe auch einfach hysterisch und dumm.

Die einzige Furcht der meisten hier war die Angst.

«Du funktionierst als narzisstisch gepoltes Profiltier, #Earthquakes, #staySafe, #IAmFine», denke ich und frage mich, woher mein Verdruss kommt, der an physisch spürbare Abneigung grenzt.

Die Ruhe selbst auf Lombok
Charly in der Ruhe vor dem Sturm oder einfach nur die Ruhe selbst?

Ich mache den Fehler, und schaue auf meinen Facebookaccount. Die Wichtigkeit der eigenen Situation war vordergründig in den meisten Posts. Einige Links führten jedoch auch zu Spendenstationen. Ich beginne zu recherchieren, welche Auswirkungen das Beben hatte. In einem Umkreis von 100 km leben circa eine Millionen Menschen, 480 Personen wurden getötet, 7’800 verletzt und circa 400’000 Menschen wurden obdachlos.

«Auch zwei Österreicher hatten laut Außenministerium leichte Blessuren erlitten», schreibt die Tiroler Zeitung, deren Bericht ich zufällig im Internet finde. Wieder dieser Überdruss. Die Einheimischen haben keinen Versicherungsschutz, keine Pension und erst seit kurzem basal und vereinzelt eine Art Krankenversicherung, die dem neuen Präsidenten zu verdanken war. Zahlen, Respekt vor den Toten, der Misere und der subjektiven Wahrheit der Angst vieler Touristen treffen mich nun schwer. War ich überheblich? Meine eigene Unsicherheit hatte ich vielleicht hinter meiner Aggression versteckt, doch ist die zerbrechliche emotionale Welt von uns Europäern im Angesicht der Gefahr und Ohnmacht gegenüber der alltäglichen Realität der meisten Menschen des Globus in meiner subjektiven Wahrheit ein Akt des Narzissmus, postulierte ich innerlich und die subjektive Wahrheit über das Geschehene wurde für mich zur einzigen.

So oder so hilft auch ein Jahr später den Einheimischen dein kleiner Beitrag:

https://www.worldvision.ch/de/spenden/katastrophenhilfe/erdbeben-indonesien/

https://www.aktion-deutschland-hilft.de/de/hilfseinsaetze/erdbeben-indonesien/