Einer der erfolgreichsten Big Wave Surfer aller Zeiten erzählt an der Bar, wie ihm der heftigste Wipe Out seiner Karriere das Leben rettete.

Hamburg, Hotelbar. Kurz vor Mitternacht. Greg Long bestellt Gin Tonic und ein Glas Wasser. Er hatte schon drei. Deutsches Bier will der ehemalige Big-Wave-Weltmeister nicht probieren. Lieber noch was zum Knabbern will er haben, «das mit Wasabi». Die meisten Männer, die, wie er, Geld mit Lebensgefahr verdienen, trinken gar nichts. Sie sitzen auch nicht kurz vor Mitternacht an einer Hotelbar und vergleichen die Risiken großer Wellen mit Beziehungen oder gefeierten Schriftstellern. Aber Greg Long ist anders.

Portrait Big Wave Surfer Greg Long
Big Wave Surfer Greg Long. Quelle: surfline.com

Greg Long ist einer der besten Big Wave Surfer der Welt. Greg Long war schon mal tot. 2012 wurde er hundert Meilen vor der Küste San Diegos von hunderttausenden Tonnen Wasser begraben und ist dabei nicht tödlich ertrunken. Diese Nahtoderfahrung veränderte sein Leben. Seit man ihn, wie auch immer, zurück ins Leben holte, besitzt er einen siebten Sinn. Greg Long kann nun die kleinen Dinge sehen. Untypisch für Big Wave Surfer. Er kann Grenzen von Limits unterscheiden. Und hinter dieses Limit will sich der 35-jährige Kalifornier nicht mehr treiben lassen. Von keinem Ego der Welt, keinen Sponsoren, keiner medialen Aufmerksamkeit. Da kündigt er lieber seine Sponsorenverträge, lebt im Van und ernährt sich von Preisgeld. Preisgeld, das er obendrein noch mit seinen Kontrahenten teilt. Der Greg Long, der sein Leben für die eigene Genugtuung aufs Spiel setzte, ist Geschichte. Zu begrenzt erscheint ihm heute jenes vergangene Leben, mit seinen Gesetzen und Gezeiten, denen er alles unterordnete, seit ihn die großen Jungs in San Clemente zum ersten Mal mit zu den großen Wellen nahmen.

Stürzt er sich diese Tage in Monsterwellen, will er genau von sich wissen, aus welchen Gründen er das tut. Es müssen gute und ehrliche Gründe sein.  Und sowieso muss der erfolgreichste Big Wave Surfer der Welt mittlerweile nicht mehr jedem Tiefdruckgebiet hinterherfliegen. Er ist als Botschafter seiner Sportart unterwegs und setzt sich für den Umweltschutz ein. Sein Instagram besteht aus Wellen und Müll. Nach Hamburg ist er gekommen, um auf der Premiere der Int. Ocean Film Tour über Meeresverschmutzung zu reden. Ohne Stocken, vor 1500 Leuten. Auf seiner Stirn kein Tropfen Schweiß. Sowas macht Greg Long öfters. Seine Worte klingen wie Denkmäler. Sie sind wohl überlegt, sie stimmen. Nur, wenn er mit einem Gin Tonic in der Hand «Prost» sagt, stimmt das nicht. Es ist das Prost eines Amerikaners. Sogar bei den Vereinten Nationen hat er schon geredet. Er spricht dann über Angst und Müll und was man denken sollte, wenn neubaublockhohe Wellen auf einen zurollen und hinter einem an Felsen klatschen. Greg Long sieht dabei unverschämt gesund aus. Schwarzer Longsleeve, welliges Haar, ein junger James Bond, der sogar schon Gerard Butler, bei den Dreharbeiten zu Mavericks, vorm Ertrinken rettete.

An der Bar mit Greg Long
Konstantin Arnold traf Greg Long an der Hotelbar in Hamburg.

Greg, viele halten dich für den besten Big Wave Surfer der Welt. Teilst du diese Meinung?
Viele, und dazu zähle ich mich selbst, sehen Surfing als eine Kunstform an und Kunst kann sehr subjektiv sein. Daher gibt es keinen Besten. Vom sportlichen Standpunkt ausgesehen, kann ich jedoch mit Sicherheit sagen, dass es eine Vielzahl besserer Big Wave Surfer gibt. Energie und Zeit, die ich für intensives Training und Vorbereitung aufbringen müsste, investiere ich seit einigen Jahren in andere Bereiche.

Welche Bereiche wären das?
Seit Beginn meine Karriere arbeite ich mit verschiedenen Umweltorganisationen zusammen, um das Bewusstsein für die Fragilität und Bedeutung der Ozeane zu schärfen. Wurde dieses Bestreben zu Anfang von meiner Karriere vom Surfen überschattet, liegt mein Hauptaugenmerk nun auf dem Kampf gegen Plastikverschmutzung und Klimawandel. Wir missbrauchen unseren Planeten und ich habe der Ressource des Ozeans meine ganze Karriere zu verdanken. Es ist höchste Zeit, etwas davon zurückzugeben. 

Bleiben wir bei den Vorurteilen. Du giltst als jemand, für den nur Ziel erreichen in Frage kommt. Hast du keinen Plan B?
Doch, immer! Mit dem Surfen von großen Wellen gehen sehr große Risiken einher. Im Moment, in dem man die Arena des Ozeans betritt, muss man diese Risiken akzeptieren. Die Studie dieser Risiken und der Versuch, sie zu minimieren, zumindest jenen kontrollierbaren Teil von ihnen, stellt in meiner professionellen Karriere den signifikanten Teil meiner Arbeit dar. Sehr wahrscheinlich liegt darin einer der wichtigsten Gründe, für meinen Erfolg. Von guter Vorbereitung kommt Selbstvertrauen und nur durch Selbstvertrauen, kann man im Leben und im Sport, seine größten Leistungen erbringen.

Wie verrückt muss man sein, um sein Leben in Riesenwellen aufs Spiel zu setzen?
Big Wave Surfing begeistert mich durch die körperlichen und geistigen Herausforderungen, die es bietet. Je größer und heftiger eine Welle, desto größer sind diese Potentiale und das damit verbundene Gefühl der Errungenschaft. Zwischen den Gewalten der Ozeane habe ich mich selbst erforschen können, körperlich, geistig und spirituell. Es ist eher ein abenteuerliches Streben, als ein verrücktes.

Welche Rolle spielt Angst in diesem Zusammenhang?
Über die Jahre bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass Angst eine Emotion ist, die auftaucht, wenn ich etwas nicht verstehe oder mir das Wissen über etwas fehlt. Angst wird durch eine Kette von Ereignissen stimuliert, genauso wie Wut oder Freude. Der Unterschied besteht darin, wie sich diese Emotionen auf uns auswirken. Angst neigt dazu, unsere Fähigkeit einzuschränken. In gewissen Situationen kann ich die zerstörerische Kraft dieser Emotion heute noch spüren. Aber anstatt diese Angst zu unterdrücken oder in Panik zu geraten, versuche ich zu verstehen, was um mich herum passiert, dass in mir dieses Gefühl auslöst.

Hinter Grenzen wartet ein größeres, stärkeres Ich, hinter einem Limit lauert der Tod. Wie unterscheidet man in Sekundenbruchteilen zwischen dem einen und dem anderen?
Menschen sind dazu bestimmt, ihre Grenzen auszutesten. Jeder Einzelne muss diese Grenzen anhand seiner persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten selbst ausloten. Ich habe meine natürlichen Grenzen gefunden, die ich auf Kosten meines Lebens auch nicht weiter austesten möchte. Sterben, nur, weil man danach strebt, seine persönlichen Grenzen im Ozean zu überschreiten, erschient mir, mit aller Nachsicht, nicht mehr erstrebenswert. Das Leben ist das Kostbarste, was wir haben und es kann jederzeit vorbei sein. Daher ist es wiederum falsch, sich von Angst lähmen zu lassen oder seinen Abenteuergeist zu ersticken.

Greg Long Big Wave Surfer
«Menschen sind dazu bestimmt, ihre Grenzen auszutesten», Greg Long. Quelle: theinertia.com

Wie fühlt es sich an, zu ertrinken?
Es ist ruhig und schwarz. Was ich erlebt habe lag zwischen der extremsten Form eines Blackouts und nicht tödlichen Ertrinkens. Potentielles Ertrinken war stets eine Gefahr, die ich als Big Wave Surfer akzeptieren musste. Jedoch muss ich zugeben, dass ich nicht auf die Emotionen und Kontemplation gefasst war, die sich nach einem solchen Erlebnis einstellen. In dieser Zeit habe ich jedoch die wertvollsten Erfahrungen meines Lebens sammeln können. Ich glaube, dass mir dieses Erlebnis in vielerlei Hinsicht, das Leben gerettet hat. Vor meiner Nahtoderfahrung war mein Leben sehr begrenzt. Alles, was ich als Mensch aufbieten konnte, widmete ich meiner Karriere, mit aller Akribie, kostete es, was es wolle. Ich musste mich stetig dem Größten aussetzen, was ich finden konnte. Es war wie ein alles umwälzender Zwang, der alles von allem forderte und die täglichen, schönen Dinge des Lebens um mich herum, völlig in den Hintergrund drängte.

Doch nicht so traumhaft, der Traum vom Profisurfer. Wie bändigt man einen Ehrgeiz, der sich mit nichts als dem Allergrößten zufriedengibt? Sobald man im Sport ein gewisses Maß an Erfolg und Ruhm erlebt hat, hageln die Erwartungen nur so auf einen ein. Von aussen, wie von innen. Das liegt in der Natur der Sache, sich stetig zu übertreffen. Hohe Ziele und Erwartungen zu haben, ist etwas Existenzielles, solange sie der Motivation und Inspiration dienen. Aber genau hier müssen wir uns zur Rechenschaft ziehen und sicherstellen, dass wir unser Leben für gute und reine Gründe aufs Spiel setzen, Gründe die uns weiterbringen und nicht von Oberflächlichkeiten gelenkt werden.

Sind Big Wave Surfer aufgeblasene Egomanen?
Es ist definitiv immer noch eine romantische Bruderschaft dahinter, aber es mangelt auch nicht an eigenwilligen Egos, die sich darin vermischen. [lacht]

Big Wave Surfen befindet sich an der Grenze zum Machbaren. Wie beurteilst du diese Entwicklung?
Big Wave Surfing ist heute beliebter als je zuvor, was mich auf der einen Seite freut und auf der anderen beunruhigt. Als ich anfing, große Wellen zu surfen, gab es den Karriereweg eines Big Wave Surfers nicht. Es war die reinste Leidenschaft. Wir waren wenige. Die Line-Ups waren leer. Es herrschte Kameradschaft. Das ist heute anders. Heute sind 60 Leute an einer Welle, was die Risiken ungemein erhöht. Big Wave Surfen ist kommerziell und populär geworden. Athleten können heute von dieser Sportart leben. Das ist wundervoll. Auf der anderen Seite kommen mit dem Kommerz viele, die es für den Ruhm tun und sich für diese Momente des Ruhms in die waghalsigsten Situationen begeben. Das Leistungsniveau der Sportart heute überschreitet alles, was ich mir je vorzustellen gewagt hatte. Viele Big Wave Surfer begeben sich, aufgrund neuer Sicherheitstechniken in Situationen und Wellen, denen sie natürlich nicht gewachsen sind.

Ist Nazaré solch ein Ort?
Nazaré ist sicherlich die Welle unter den großen Wellen, die mich am meisten ängstigt, weil sie unvorhersehbar ist. Die meisten großen Wellen haben eine definierte Take-Off-Zone und einen sicheren Teil, in dem sich die Strömung bewegt. Sie sind kalkulierbar und mit ihnen das Risiko. Aber nicht in Nazaré. Der brechende Teil der Welle kann sich plötzlich um hunderte Meter verschieben. Das ist äußerst riskant und birgt natürlich eine gewisse Attraktion. Aber an diesem Punkt in meinem Leben denke ich, dass das Risiko die Belohnung überwiegt.

Surfpoint Nazare
Die unberechenbare Welle von Nazaré. Quelle: Karim Sakhibgareev

Was hätte der junge Greg Long dazu gesagt?
Ich denke der junge wie der alte Greg folgen ehrlichen Motiven, große Wellen zu surfen. Dennoch muss ich zugeben, dass ich meinen Erfolg in der Vergangenheit daran gemessen habe, inwiefern ich meine Ziele erreicht habe. Ich sah nur das Ziel. Erreichte ich es nicht, konnte ich sehr hart zu mir sein. Nach einer Session stellte ich mich infrage. Jene Fragen sind es, die sich über die Jahre geändert haben. Nach wie vor ist es mein Ziel, mich stetig zu verbessern, aber der Prozess dahinter ist angenehmer geworden. Ich lege mehr Wert auf einen Prozess, als auf seine Ziele. Der Prozess ist das Gewebe eines jeden Ziels. Die einzelnen Errungenschaften zwischen Höhen und Tiefen sind reine Akzente, die für das gesamte Erlebnis jedoch sekundär sind.

Muss man erst alles gewinnen und fast Sterben, um das zu erkennen?
Nein! Die Gesellschaft legt leider grossen Wert auf das Berühmt und Erfolgreich sein. Es ist leicht, von dieser falschen Mentalität abhängig gemacht zu werden. Glück ist jedoch nicht ein Ding, das man gewinnt oder kaufen kann, es ist eine Geisteshaltung, die nur in uns selbst entstehen kann. Die schlimmste Erfahrung meines Lebens war meine Nahtoderfahrung, gefolgt von monatelangem, emotionalen Tumulten. Ich musste den Ozean nur sehen und begann zu zittern. Mittlerweile ist aus diesen Gefühlen jedoch eine ganz neue Begeisterung hervorgegangen, durch die ich mich dem Ozean in einer neuen Beziehung genähert habe. Die wertvollsten Lektionen unseres Lebens stecken meistens in seinen schwierigsten Momenten. Wir sollten sie mit offenem Herzen empfangen. Je früher man versteht, dass man durch jede Emotion in der Lage ist, dessen Gegenteil zu spüren, desto leichter wird das Leben als Mensch und umso erfolgreicher das als Big Wave Surfer.

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Gewonnene Titel: Eddie Aikau (das prestigeträchtigste Big Wave Event der Welt), Titans of Mavericks, Big Wave World Tour Champion 2016, Meistdekorierter Billabong XXL Award Gewinner

Organisationen mit den Greg Long arbeitet: Surfrider Foundation, Wildcoast, Parley For The Ocean, Save the Waves, Patagonia