Reisepisoden über Kuriositäten, Gewalt, Schmerz, Freude, gutes Essen und kalte Drinks. Charly erzählt aus seiner Perspektive über das Wellenreiten und den Rest.

Auftauchen, Augen öffnen, orientieren. Ich vollzog eine Mischung aus Ausweichmanövern, Paddeln und Duckdives, um unverletzt wieder am Peak anzukommen. Ich hatte Glück, den Takeoff zu schaffen und einen unverbrauchten Bereich der gerade brechenden Welle zu erwischen. Auf meiner Rückreise zur Hauptzone vorbei an panischen Neulingen und ignoranten Intermediates konnte ich ihn beobachten: Die Mischung aus kriegerischem Willen und Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben, während er mit fokussiertem Blick das Brett unter seine Füsse und in die Welle drückte. Sein dicker Bauch glänzte in der tropischen Sonne mit seiner Glatze um die Wette, während er eine Line weit oben im Face der Welle wählte – maximaler Speed. 

Schwarz-weiss Aufnahme aus der Vogelperspektive eines Surfers

«Get out of the way you fucking spastics!», kreischte er pumpend. Seine rote Gun manövrierte er stehend entlang der offenen Wand aus kräftig grünem Wasser – um Köpfe, fliegende Boards und paddelnde Surfern, die ihm die Welle klauen wollten. «Red means danger», flachste hämisch grinsend ein Bekannter von ihm, der zufällig in meiner Nähe war. Shaun aka «Red Board» war Südafrikaner, surfte schon seit mehreren Jahrzehnten, war regular footed und liebte die Welle des Mainpoint, kannte sie und ihren Charakter bereits sehr gut. Er war schon den ganzen Sommer dort und ich fragte ihn jedesmal nach einem guten Restaurant, einem Café mit guten Pancakes oder anderen kulinarischen Tipps für Arugam Bay. Vor Ort gab es alles. Vom «8-Dollar-Bliss-Shake» für den «Surfing is the cure»-Wanna-Be-Rob-Machado bis zum cheapen local Food in Selbstbedienung für den eher praktischen und preiswerten Esser. Auf jeden Fall genug Stoff für die Konversation mit aggressiven, gierigen Wellenreitern. Sie beruhigten das kämpferische Gemüt, welches ich anfangs etwas befremdlich fand. Ich sollte auf meinem ersten Surftrip ausserhalb Europas lernen, dass Lagerfeuer, Jack Johnson und Love, Peace, Happiness häufig nur vergilbte Abziehbilder aus vergangenen oder sogar nie da gewesenen Zeiten sind, die heutzutage von zu vielen Idioten in zu teuren Anzügen einer PR-Firma in die Köpfe der Menschen gepflanzt werden.

Abendstimmung mit rotem Himmel am Arugam Bay
Romantische Aussichten. Dauern leider nur bis zum Morgengrauen.

Aufwachen, Kaffee trinken, Pancake essen, Brett wachsen, rauspaddeln, auf- und abbabbelnd auf ein Set warten, Welle kriegen und «let’s go for this shithead wankers and try not kill somebody or get killed!» Das war sein Tag, sein Mantra. Shaun war mir weit voraus und offensichtlich in einem diffusen «eat, sleep, war»-Zustand angekommen, rein und klar. Ich musste an Fight-Club denken.

Our generation has had no great war, no great depression. Our war is spiritual. Our depression is our lives.

Chuck Palahniuk

Die Bucht und die Sandbank des wichtigsten und besten Breaks im Osten Sri Lankas reformierten sich auch viele Jahre nach dem Tsunami 2004 immer noch zu alter Schönheit. Diese Naturkatastrophe hat hunderttausende das Leben gekostet und darüberhinaus die Form und Qualität einiger Spots in Sri Lanka sowie überall auf der Welt verändert. Die Anordnung von Millionen Sandkörnern ist immer noch im Gange, um im Durchschnitt wieder eine Welle zu produzieren, die vor dem Unglück angeblich noch schöner gewesen sein soll als heute. Manche Quellen berichten davon, dass Fischer in Indonesien und auch im Grossraum in Indien aus Geldmangel und Unwissen Teile des Frühwarnsystem stahlen und verkauften. Es existiere bis heute im Grossraum Indonesien kein funktionierendes Frühwarnsystem. Für Sri Lanka ist das unklar. Willkommen in der Realität. 

Die Kombination aus Riff, Sand und Exposition des Strandes sorgte zum Zeitpunkt meiner Reise für eine aussergewöhnliche Welle, wie ich fand. Es galt, mit erstem Sonnenlicht im Wasser zu sein, Geduld zu haben und eine davon zu erwischen. Die grösste Challenge war, eine Lücke im Line-up zu finden und die passende Welle zu wählen. Irgendwann wirkten die anderen meist männlichen Surfer im Line-up weniger wie Surfer und mehr wie mit Testosteron gefüllte Bojen. Der Peak ist grundsätzlich dankbar und schmeisst dich nicht gleich Kopf voran mit mehreren Tonnen Wasser vor und unter sich, grindet dich nicht über das Riffgestein. «Intermediates paradise» heisst es im Internet häufig. Danke für die Anfängerhorden an den guten Breaks Sri Lankas, liebes Netz. Es entstehen wunderschöne lange Wände nach dem Take-off, die man entlanggleiten kann. Hier kitzeln weisse Wassertropfen am oberen Ende der Lip und bei grossem Swell wirft sie auch mit viel Glück hohl. Nachdem die Welle sich am flachen Stück Strand mit hoher Geschwindigkeit entladen hat, pellt sie sich etwas sanfter um die Kurve hinein in die Bucht.

Surfer bei Arugam Bay

«Fuck you, do you want to kill me?»
«It was my fucking wave – didn’t you see me?»
«I thought you wouldn’t go, you have to commit, you didn’t look like!»
«I go full speed into you, next time!»
«I fuck you up, I warn you, paddling to my inside again!?»

Bei halbwegs gutem Swell waren solche Ausrufe ein normaler Bestandteil der durchgängigen Konversationen unter den anderen Surfern im Wasser, während wir auf das nächste Set warteten. Man gewöhnte sich daran. In jeder Welle, die man surfte, paddelten mehrere andere mit oder schwammen Leute, ohne ihr Brett festzuhalten in der Impactzone herum. Das hatte auf Dauer einen Einfluss auf die Stimmung, so sehr man sich auch dagegen wehren wollte. Das Problem war nicht die Masse, sondern die fehlende Ausprägung basaler Fähigkeiten in der körperlichen Tätigkeit des Wellenreitens, inbegriffen einiger Verhaltensweisen betreffend Timing, Geduld, Wartezeit, Respekt und Positionierung. Der vor Ort organisierte Guide war ein friedlicher und höflicher Mann, mit tadellosem Englisch und einer schwedischen Freundin, geübt im Umgang mit europäischer Kultur und westlichen Gepflogenheiten. Er hatte grosse Kenntnis von Ort, Land und Welle. «Fuck this asshole, sometimes you got to face it and maybe fight this stupid son of a bitch!», erklärte er weise, nachdem er einen israelischen Surfer schreiend und auf sein Brett schlagend des Wassers verwies. Der Depp droppte zweimal einem Kunden des Guides in die Welle. «This people think they can behave like they want, we don’t accept it anymore, they are dangerous and don’t even know! I tell you, at Mainpoint, if you don’t catch a wave paddling, you do not deserve to surf this wave and waste our time there. Too many people destroy the etiquette, but give me two of my friends and we control the point. If they don’t show right behavior, we explain it to them. Sometimes, there is bamboo-massage but without pleasure, you know.»

Dunkelhäutiger Surfer am Strand mit Brett
Praneeth lächelt an Land häufiger als im Wasser, bester Guide in Town.

Ich schlief in der Unterkunft direkt am Mainpoint und alle zwei Tage gab es Gerüchte einer weiteren Schlägerei, seltener sah ich eine. Es hiess Locals gegen Israelis, meistens aber nicht ausschliesslich. «Die meisten muslimischen Länder lassen uns nicht rein, inklusive Indonesien», berichtete der ursprünglich israelische Stephan, der seine Dreadlocks schon seit einigen Monaten auf seiner Asienreise züchtete. «Es ist halt so, dass die meisten hier sind, nachdem sie drei Jahre gemeinsam im Wehrdienst zuhause dienten. Sie kommen dann zum Surfen und haben ein spezielles Mindset, sind ausserdem mit ihren Kameraden aus der Einheit zusammen, voller Aggressivität.» Seine These machte irgendwie Sinn, warf Fragen auf. Ich lernte mehr hebräisch als singhalesisch oder tamilisch in den vier Wochen dort. Nicht ganz unnütz, wenn man alleine mit 25 Israelis am Whiskey-Point um einen Fels im Wasser herum angeordnet ist wie gare Kartoffeln im kochenden Wasser. Gute Welle, steile Inside, irrwitzig crowded, aber gute Chillout-Pavillons am Strand. Peanut Farm hat zwei Breaks und die Bucht bildet von der Vogelperspektive aus betrachtet einen Sattel, der die beiden Spots trennt, aber bei grossem Swell auch verknüpfen kann. Der Fluss, der fast bis zum Ufer des Ozeans reicht, ist Heimat für Krokodile und es geschehen regelmässig Zwischenfälle.

Nachdem ich eine gute Zeit am zweiten Break hatte, schien die Inside gut zu laufen und ich wollte noch eine zum Strand nehmen. Während ich glücklicherweise am exakt richtigen Ort paddelte, spürte ich ihn erst und sah dann an meiner rechten Schulter einen anderen Surfer paddeln. Ich rief, dann schrie ich. Ich stand auf, er stand auf. Wir surften also Rail an Rail und es war meine, offensichtlich. Ich streckte explosiv beide Arme gegen seine Brust aus und trennte ihn von seinem Brett. Ich surfte noch ein paar Meter, hatte die Schulter aber verloren, wartete dann wieder am Peak. Er paddelte in meine Richtung und schrie schon von weitem den bekannten Satz: «Do you want to kill me? I thought you didn’t go! You dare to push me?» Ein paar Locals nickten mir zu, was ich als positives Zeichen verstand. Ich war entspannt, kannte das verschissene gelogene Gelaber schon – von wegen man würde nicht gesehen, man denke, dass man nicht ginge und so weiter. Ich wartete auf ihn. Der Hohn war, dass er mir drohte, nachdem er mir dreckig dreist reindroppte. «Shaun, ich verstehe dich jetzt», dachte ich resigniert. Mein nächster Gedanke war der an Pancakes, was mich beruhigte. Wie ironisch die Dinge sein können. Ich bereute nicht, ihn vom Brett befördert zu haben und war nach drei Wochen vor Ort irgendwie bereit für eine Eskalation. Etwas in mir sträubte sich zumindest nicht dagegen. «Mal sehen, was passiert», dachte ich. Direkt erhoben einige Locals im Wasser das Wort, dass es sein Fehler war und er die Fresse halten soll. «Go home if you don’t know!», und anderes musste er sich anhören. «Sometimes they don’t accept, then they find out», klärte mich ein Local im Wasser auf, der das Spektakel beobachtete. «At least I know exactly who I don’t want to be», erwiderte ich. Mit ihm teilte ich das letzte Set, bevor ein Tag später mein Rückflug anstand.

Das erste Taxi für die mehrstündige Fahrt zum Flughafen tauchte nicht auf. Das zweite Taxi war ein Kombi ohne Dachgepäckträger, gesteuert von zwei orthodoxen muslimischen Brüdern, die zusammen beten mussten während der Fahrt. Dieses fuhr einfach wieder weg, offenkundig empört über den Unmut betreffend ungeeignetem Vehikel. Samantha, der Guide und seine Frau halfen uns bei Versuch Nummer drei. Ein billig getunter Kleinwagen, ausgestattet mit Fahrer-TV, driftete nun mit mir auf der Rückbank durch die monsunartig gewitterige Nacht. Wasser tropfte von den Straps auf mich, da diese sich vollsogen. Angekommen am Flughafen bemerkte ich meinen Anfängerfehler. Mein Visum war einen Tag zuvor abgelaufen. Der Chief of Office musste also mit 100 Dollar bestochen werden. Ein fetter halbglatziger, uniformierter, Hornbrille tragender Sadist, der sich an meinem Gesichtsausdruck aufzugeilen schien, als er sagte: «Without help, you will stay in Colombo.» Einen Tag später musste ich arbeiten, was die Bestechung unumgänglich machte. Ich erreichte knapp das Gate.  Mit glänzenden Wellenrippen, die ich kurz zuvor noch surfte, badewannenwarmem Wasser, schreienden Surfer, wirbelnden Boards, Aggressionen, Frust, Resignation und Gewalt vor dem inneren Auge wirkte alles andere irgendwie einfach und ungefährlich. «If you go to A-Bay, you have to face this shit, but don’t forget to enjoy the wave», bekräftige der lieb gewonnene Guide, als wir uns zur Verabschiedung umarmten.