Im Februar 2020 packte ich meine Sachen und bin nach Spanien ausgewandert. Kurz darauf durfte ich dank der Coronaviruspandemie mein neues Zuhause nicht mehr verlassen… Von gemischten Gefühlen, dem Verlangen nach Meer und dem Surfverbot.

Die Woche vor der grossen Wende
Gerade erst sind wir zurückgekommen von unserem kurzen Surfurlaub auf den Kanarischen Inseln. Noch immer vollgetankt mit Sonnenenergie starte ich mit meinem Partner in unseren neuen Alltag. Für mich ein neues Land, neues Zuhause, neue Dokumente, neue Sprache. Ich habe mich als Surf Coach selbstständig gemacht und kann es kaum erwarten, die lang geplanten Ideen und Konzepte endlich in Realität umzuwandeln. Erste Meetings wurden festgelegt, die Reservierungen für den Sommer tröpfeln auch vereinzelt rein. Ich bin extrem positiv gestimmt, die Motivation ist gross. Klar, auch wir haben mitbekommen, was in Italien abging. Und dass erste Fälle des Coronavirus in Spanien registriert wurden. Das spanische Newsfernsehen hatte nur noch ein Thema: Wann trifft Spanien die Krise? Vor lauter Eintönigkeit der Berichterstattungen wendeten wir uns von all der Negativität ab. Zuhause in unserem kleinen Dorf Covas war alles ruhig wie immer, warum soll man sich gross Sorgen machen?

Ein letzter Surftag
Die Regierung hat am Freitag, 13. März 2020, entschieden, dass Massnahmen erforderlich sind. Wir kamen gerade zurück von einem Surf, und machten uns an Renovationsarbeiten am Haus. Die Rede war erst von der offiziellen Schliessung von Cafés und Restaurants. Ich muss zugeben, der Kinobesuch am letzten Donnerstagabend hat mich schon ein bisschen eingeschüchtert: Die Mall war komplett leer, wir hatten den ganzen Kinosaal für uns alleine, das Popcorn schmeckte trotzdem. Müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen? Ja.

Aufgrund der rasant gestiegenen Infektionszahlen in Spanien wird am Samstag per sofort eine Ausgangssperre verhängt. Eine komplette Quarantäne für alle spanischen Bürgerinnen und Bürger, die sonst so gesellig sind und den Körperkontakt nicht scheuen. Wie wenn ich eine Vorahnung gehabt hätte, surfe ich an diesem Samstag zwei Sessions. Ich komme abgekämpft nach Hause, in den Nachrichten werden die Massnahmen verlesen. Ich verdaue die dicke Post, kann dann aber nicht anders als zu lachen. Noch nie im Leben hatte ich Hausarrest!!!! Nicht dass ich immer brav war, aber eingesperrt zu sein auf unbestimmte Zeit, ist für mich eine erstmalige Erfahrung. Los gehts!

Erlebnis «Einkaufen»
Was wie der Slogan einer unglaublich grossen Supermarktkette klingt, wurde für uns zur Wirklichkeit. Einzige erlaubte Aktionen während der Quarantäne waren Einkaufen im nächstgelegenen Lebensmittelladen, Unterstützung von älteren Mitmenschen und der Besuch von Apotheken. Da wird der allwöchentliche Einkaufstrip schnell zum Abenteuer. Gähnende Leere auf dem Parkplatz, eine unerwartete Ruhe liegt in der Luft. Normalerweise ist der Lautstärkepegel in öffentlichen Räumen hoch, ein reger Austausch zwischen Alt und Jung prägt das Geschehen. Nicht so während dem Lockdown: Leute sind gezwungenermassen allein unterwegs, die Sicherheitsabstände werden eingehalten, geredet wird kaum. Man hat Angst und das sonst so von Lebensfreude und Leichtigkeit geprägte Volk ist verstummt. Irgendwie kam mir das Ganze plötzlich so ganz und gar nicht mehr spanisch vor. By the way: Toilettenpapier hats hier immer gehabt, nur der Mozzarella aus Italien fehlte im Kühlregal.

Quarantinis und Karaokeabende
Was tut man denn nun, so eingesperrt wie Tiere im Zoo? Erstmal gar nichts. Wir mussten uns an die Situation gewöhnen und der neuen Realität in die Augen schauen. Zum Glück leben wir in einem grossen Haus mit Umschwung, das im Sommer zu einem Surfhouse umfunktioniert wird. Wenigstens ein formidabler Tigerkäfig. Wir starten mit Arbeiten im Haus, die sowieso angefallen wären und entdecken neue Serien auf Netflix. Mitte April wurde es trocken und wärmer, ich beschäftigte mich im Garten und konnte unsere Miniramp nutzen. Und es geschah was geschehen musste während einer Quarantäne und viel zu viel Zeit: Kochen und Essen wurden enorm wichtig und wieder geschätzt, der Kreativitätssinn wurde geweckt und in Mandalas und Fotobüchern verewigt, das tägliche Homeworkout absolviert, gelesen und Podcasts gehört. Grösstes Highlight waren und bleiben die Freitagabende: Karaokebabend, YouTube-Musikfestivals, Beerpongturnier… Eben genau wie im Leben vor der Quarantäne, nur ohne die liebsten Freunde. Und natürlich durften die Quarantinis (Definition: «ein Martini, der in Quarantäne getrunken wird») dabei nie fehlen.

Stop. Reset. Enjoy.
Ja, ich war am Kämpfen mit der Situation. Sehr oft sogar. Die Ungewissheit über die Dauer des Freiheitsraubes war unerträglich. Zuerst waren es 15 Tage, dann noch eine Verlängerung, und noch eine. Endlich scheint sich etwas zu tun, doch die Regierung krebst wieder zurück und verhängt noch einmal 15 Tage Ausnahmezustand. Für mich unverständlich, ein Mensch braucht Bewegung und frische Luft. Es ist etwas anderes, wenn man sich freiwillig gegen einen Spaziergang oder eine Surfsession und für einen Netflixtag im Bett entscheidet. Schränken sich die Auswahlmöglichkeiten gezwungenermassen aber so krass ein, wird einem manchmal schon mulmig zu Mute. Das Meer jeden Tag vom Fenster aus zu sehen und so nah zu haben und trotzdem nicht in die Nähe zu können, ist die grösste Tortur für mich. Nach den ersten emotionalen Achterbahnfahrten pendelte sich mein Gemütszustand langsam ein. Den Anblick des Meeres fing ich auch aus der Ferne an zu geniessen, denn ohne meinen Umzug nach Spanien hätte ich jetzt Bergwände bestaunt. Für mich ist das Lohn genug.

Locals Only
Alles hat ein (vorläufiges) Ende. Spanien befindet sich seit dem 2. Mai 2020 in der Phase 0 der Renormalisierung. Die Komplettquarantäne wurde aufgehoben und wir können wieder aus dem Haus. Und nicht nur das: Innerhalb seines Municipios (= Gemeinde) darf man sich zwischen 06.00 – 10.00 Uhr und 20.00 – 23.00 Uhr frei bewegen und Sport treiben. Einmal am Tag, alleine, und der Gebrauch von Autos ist untersagt. Es bleibt kompliziert, aber dank unserem gut gelegenen Standort konnten wir nach 49 Tagen Hausarrest wieder die Wellen spüren. Sieben Uhr in der früh, die Sonne versteckt sich noch hinter Monte Campelo, wir sind zu Fuss zum Strand runtergelaufen, die Boards unter dem Arm. Alles eigentlich (fast) wie immer, zumindest solange man im Wasser ist. Die wunderbar strahlenden Augen der anderen Locals im Wasser werde ich jedoch nie vergessen. Ein kleines Stück Freiheit haben wir mittlerweile wiedererlangt.

Wann und wie ich meine Arbeit aufnehmen kann, ist noch unklar, ebenfalls weit entfernt ist die Öffnung der Grenzen. Wir dürfen uns jetzt gerade mal innerhalb der Gemeinde bewegen, freie Mobilität im ganzen Land ist in zirka 1.5 Monaten wieder geplant. Und das in einem Land, dessen Bruttoinlandprodukt zu 15% durch Tourismus generiert wird. Schwierige Zeiten kommen auf das Land und die Leute zu, die Folgen werden lange zu spüren sein. Bis dahin erfinde ich mich wohl noch vier Mal neu, geniesse jede Surfsession doppelt und dreifach und versuche, mit Videocalls den Freunden und der Familie in der Schweiz nahe zu bleiben. Haltet durch, liebes wellenverrücktes Schweizervolk, auch ihr dürft bald wieder ans Meer. Eure Fabienne.