Von einer der besten Wellen der Welt und den täglichen Herausforderungen, die ein abgelegenes, in der Nacht sehr kaltes 200-Seelen Dorf bietet. Aber auch von der lateinamerikanischen Freundschaft und Geselligkeit.

Seit drei Monaten lebe ich nun in meinem Paradies, Homeoffice sei Dank. Es ist der schönste Ort, an dem ich je gelebt habe. Aber auch der Herausforderndste.

Es begann gleich bei meiner Ankunft. Mitten in der Nacht fiel der Strom aus. Doch das war erst ein Vorgeschmack. Am Tag nach meiner Ankunft zeigten sich die Sonne und die Wellen von der besten Seite, die Sache mit dem Strom liess sich regeln und alles war vergessen. Zumindest für einen Tag. Als nächstes machte die Wasserpumpe schlapp.

Daran musste ich mich leider gewöhnen. Teils kommt Wasser, dann ein bis zwei Tage nicht. Anfangs geriet ich deswegen etwas an den Anschlag. Doch mit der Zeit lernte ich, Notfall-Kanister in meinem Haus zu lagern. Bei Regen werden die Leitungen wegen Verstopfungsgefahr 24 bis 48 Stunden lahmgelegt, rein prophylaktisch. Auf die Idee, das Versorgungssystem zu verbessern, kommt leider niemand.

Und so sind die Dinge, wie sie eben sind, wenn man am Ende der Welt wohnt. Dafür ist die Natur der pure Wahnsinn. Und der Sternenhimmel
erst. Ich habe in meinem Leben noch nie so abgelegen gewohnt. Es ist ein komplett anderes Lebensgefühl. Ich kann jederzeit an einem einsamen Strand spazieren und fühle mich dabei nie einsam, weil es einer der friedlichsten Orte ist, die ich je kennengelernt habe. Hier sind die Leute
ehrlich, es wird nichts gestohlen. Wie anno dazumal.

Mein Paradies hat mich gelehrt, mit Holz zu heizen, Gasflaschen anzuschliessen und in der Südhemisphäre anhand der Sternbilder den Süden zu finden. Auch weiss ich nun, wie man ein Auto abschleppt. Ja, richtig, einmal mussten wir mitten in der Nacht von Freunden abgeschleppt werden. 60 Minuten von meinem Zuhause entfernt hatte ich eine Panne. Zum Glück war ich nicht allein unterwegs. Und da es so etwas wie einen TCS hier nicht gibt, haben wir meine Freunde angerufen, diese haben ein Abschleppseil organisiert und mitten im Nirgendwo einen Mechaniker gefunden, der das Auto auch tatsächlich repariert hat.

Etwas vom Schwierigsten ist die Sache mit dem Internet. Das Dorf hat kaum Handy-Empfang, den steilen Felsen sei Dank. Doch mit Signalverstärkern lässt sich das spärliche Handy-Signal in ein WLAN-Signal umwandeln. Und das reicht tatsächlich für Videokonferenzen. Bei Nordwind wird es nachmittags jedoch kritisch. Glücklicherweise habe ich am Nachmittag sehr selten Konferenzen und einen Generator im Keller, falls der Strom ausfällt.

Du fragst dich, wie ich dort gelandet bin? Richtig, es war die Welle. Mehrmals habe ich den Namen gehört. Eine sanfte Linke, nicht so gross wie Punta de Lobos, aber kräftig genug, um hin und wieder in der ersten Sektion eine Barrel zu bilden. Und ob ich da surfe? Etwas Zweifel hatte ich schon. Aber die meisten meinten, ich soll einfach nicht zu weit raus und wenn die Welle klein ist, wird sie mir gefallen.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich schliesslich hier gelandet bin. Dieser Spot ist nicht so einfach zugänglich: Du brauchst einen 4×4-Antrieb und fährst ab der nächstgelegenen Stadt 45 Minuten auf Schotterpisten. Und diese
nächstgelegene Stadt ist eher ein Dorf. Immerhin mit Supermarkt, einer Post und einigen Ferreterias – das ist so etwas wie ein Baumarkt. Ein Laden, in dem ich bereits Axt, Säge, Gasflaschen, Verlängerungskabel und Steckdosenadapter gefunden habe. Und die Poststelle, ja, die braucht es, denn in meinem 200-Seelen-Dorf gibt es keinen Postboten, der Briefe ausliefert.

Wie die Welle ist dieses Dorf etwas ganz Einzigartiges. Ein Mix aus chilenischen Fischern mitsamt ihren Familien sowie den Surfer:innen, die der Welle wegen hergezogen sind. Da Arbeit hier etwas komplizierter zu finden ist, wird man kreativ, was den eigenen Unterhalt angeht. Der eine
bäckt neben dem Surfcoaching Vollkornbrot, der andere bereitet Hummus oder eigenes Joghurt zu. Viele arbeiten in der Bauindustrie, da sich Landstücke gerade wie warme Semmel verkaufen. Sie verwalten eine Unterkunft, geben Surfstunden oder arbeiten online. Das Schöne ist, dass man hier viel weniger Geld als anderswo braucht. Das wichtigste ist Holz, damit man nachts nicht friert, ein warmer Wetsuit. Und Freunde. Ich schätze mich glücklich, hier gute Freunde gefunden zu haben. Die meisten meiner Freunde sind eher alternativ. Haben zwar an guten Unis studiert, sich aber für das Leben an diesem Ort entschieden. Das gibt spannende Gespräche. Fast jede:r Surfer:in versteht zur Not auch Englisch. Das ist in Chile alles andere als selbstverständlich. Aber das Beste ist, wenn wir uns vor oder nach den Surfsessions unter dem Sonnenschirm bei der Bank am Strand treffen und einfach der Welle zusehen. Irgendjemand ist immer da.

Artikel erschien im WaveupMag Nr. 28 (Nummer 4/2021).