Eine unerwartet lange Anreise in ein Land voller Surfmagie, Tragik und westlichem Einfluss. Was wohlbehütete Europäer dort suchen, was sie finden oder weiterhin ignorieren können.

Air Canada hatte uns nicht im System gefunden. «Today you are not going overseas», saugte mir und Sheila erstmal die Gesichtszüge aus der Mimik. Es war 7 Uhr in Frankfurt am Main und wir waren bereits seit 4 Stunden wach. 

Die Mundwinkel der Auskunft gebenden Dame mittleren Alters sahen aus, als hätte sie jeden Abend kleine Gewichte daran gehängt. Ich musste bei dem Blick in ihr Gesicht an klebrige PVC-Tischdecken denken, die schlieren-ziehend wie hinter Milchglas aus meinem Unterbewusstsein in Form von Kindheitserinnerung vor mein inneres Auge huschten. Jene Gummitischdecken an Gartentischen, an denen du als Kind sasst. An solchen hingen diese bleiernen, als Früchte designten Gewichte, die verhinderten, dass die Tischdecke wegwehte. So etwas hätte die Form ihrer Mundwinkel formen können. Vielleicht war es aber auch nur genereller Verdruss. Meinerseits. Air-Canada, du meine Hiobsbotschaft in rotweiss. Was war bloss falsch gelaufen. 

Wir waren nicht im System. Wir würden nicht abfliegen. Nach einem weiteren Blick in das Tischdeckengesicht hinter schwarzer Brille insistierte diese Fee der harten Wahrheiten, wir sollten den Tisch doch bitte freimachen. Verdammt. Zigarettenrauchend sassen wir kurz darauf vor dem Flughafen hinter den Taxis auf einem Bauzaunklotz und versuchten, während dem Schlürfen eines überraschend guten Kaffees einen Plan zu schmieden. Immer noch, was war passiert?

Volcano Santa Anna El Salvador
Unser Reiseziel: El Salvador, bekannt für seine Vulkane, zum Beispiel den Santa Ana. Quelle: imago.

Wir buchten einen neuen Flug, waren jedoch tatsächlich auf einem anderen gemeldet als «no show» und zahlten doppelt, wie wir nach mehreren und langen Telefonaten mit Air Canada erfuhren. Gotogate, unser auf Skyscanner gewählter Reiseveranstalter, stornierte einen Flug und buchte einen neuen, worüber wir vor einigen Monaten auch informiert wurden. Reisebüro und Flug-Operator fanden uns vor Ort aber nicht im System, verdammt. Die Hotline sagte, unser Erscheinen wurde vom Tischdeckengesicht nicht dokumentiert. Unser Problem sei dies nun. Destination El Salvador musste erstmal vertagt werden, da der nächst günstigere Flug nach Guatemala ging.

Den Selbsthass und die Zweifel und das ins Klo gespülte Geld zu vergessen, versuchten wir gar nicht erst. Wow. Die Stimmung war vor dem Abflug bereits im Keller und die Vorfreude einem fahlen, ekligen, emotionalen Kater gewichen. Etliche Telefonate und Beschwörungen unserer Rechtsschutzversicherung, ein grosses, verbranntes Loch im Reisebudget und grosse Müdigkeit und die viele Zeit nach langem mit Eltern, alter Heimat als Zwischenstopp auf dem Weg von Zürich nach Frankfurt am Main, das Finden eines Zwischenmieters und eines Ersatzes für Sheila sowie auch mich für unseren unbezahlten Urlaub hinterliessen bereits Tage vorher kleine Risse im Nervenkostüm.

Wir meisterten nach dem Zwischenstopp in Mexiko City eine vierstündige Nacht in einem ranzigen Flughafenhotel in Guatemala City, bevor uns der sehr nette, kleine, helfende Guatemalteke zum Terminal des Tica-Bus fuhr. In Mexiko verluden wir nebenbei bemerkt unsere Boards auf ein Fliessband ins Nichts, das ohne Mitarbeiter weit und breit aus der Ferne als das richtige identifiziert wurde. Adios, tablas! 

Wir schauten kurz hinterher und waren gelinde gesagt jenseits der Skepsis und voll im Modus Operandi für Indiana-Jones-mässige Abenteuer. Wir fühlten uns zumindest am Gepäckband so. Subjektive Wahrheiten zählen ab jetzt, whatever. Unspektakulär und sinnlos und doch lebendig. Für zwanzig Dollar inklusive Boardbag und Reiserucksack pro Kopf konnten wir jedenfalls von Guatemala im Tica-Bus mitfahren und das Gepäck wurde sogar für uns eingeladen. Nice. Wir assen Mikrowellennudeln und tranken Kaffee, knabberten Pringles als Stärkung für die fünfstündige Fahrt nach San Salvador.

El Salvador Las Flores
Beliebter Surfspot: Las Flores auf El Salvador.

An der Landesgrenze wurden wir aus unserem komatösen Schlaf geweckt, um den Bus zu verlassen und unsere Papiere vorzuzeigen. Dröselig von den letzten dreissig Stunden Frust bis zum Punkt der Resignation stiegen wir aus und wurden von dollarwedelnden, Spanisch plärrenden Männern empfangen, die uns alles mögliche in hektischen Worten zu riefen: «Twenty dollars for your visa you give me», «I change your money for good price» und mehr. Einer griff nach unseren Passports und hatte für einen kurzen Moment beide in seinen Fingern. Er ging schnellen Schrittes fort von uns. Mir schoss nur durch den Kopf: «Don’t. No. Stopp.» Meine Panik war Gott sei Dank unbegründet, da ich, nun wacher, ihm sagte, dass wir weder Bargeld noch irgendetwas anderes hatten und wir die Pässe zurückbekamen. 

Selbst völlig Matsch in der Birne blitzten mir nur mentale Screenshots mit Bildern von Mord und Totschlag auf, die ich zuvor in der ein oder anderen Dokumentation über El Salvador gesehen hatte. Egal, Stempel kriegen und ab gehts. Raus aus dem kleinen Raum, vorbei an den Dollarschwingern in den Bus. Geschafft. 

Der Jungle sah aus wie in Indonesien, doch mit weniger Affen, anderer Sprache der Einheimischen und andere Ethnien. Flach und Plump im Rhythmus der Vibrationen des Businteriors kriechen meine Gedanken vor sich hin, richtungslos, taub und auf Reserve. Der Baukasten der Welt ist lustig. Man nehme Sprache, Kultur, Ethnie, historische Fakten und schüttle kräftig. Man bereise dieses Land und betrachte das Ergebnis. Ich wundere mich schon selbst über die Obskurität der sich verzweigenden Gedanken meinerseits und schraube mich weiter in irgendwelche unkonzentrierten Knoten. 

Sheila schläft. Wir fuhren in die Stadt San Salvador ein. Mehrere Reihen Stacheldraht, je nach Wert des Gebäudes hinter den Mauern, säumen nahezu alle Ränder der Strasse. Wenig sieht man draussen vor Läden, dafür um so mehr Menschen mit Uniform und Gewehren vor und in Orten des öffentlichen Interesses. Verrammelt und verbarrikadiert, trist und hart, wirkt die Stadt im ersten Moment. Wieder diese aufblitzenden, lauten Fetzen aus Fernsehnachrichten bei jedem Blinzeln vor meinem inneren Auge. Ein bekannter aus einem Surfshop in Zürich pries die Wellen hier an, doch berichtete auch, dass die Atmosphäre erstmal nichts für ihn sei und er nicht lange blieb. Daran dachten wir beide, als wir unsere Eindrücke austauschten.

Wir unterhielten uns über das Aufbrechen der vermittelten, subjektiven Wahrheiten anderer, welche die einzige Quelle für emotionale Information waren. Anders als selbst probieren geht es nicht, wenn du nicht der Knecht der Ideen anderer sein willst. Vorausgesetzt dir bedeutet so etwas genug, um darüber nachzudenken. Aus Lombok hörten wir von Machetenüberfällen, aus Sumbawa von seltsamen Zwischenfällen mit nicht vermummten Europäerinnen und die Realitäten des Erdbebens in Indonesien einen Sommer zuvor. Nun waren wir hier und es gilt Vorurteile abzubauen, ohne naiv in eine unangenehme Situation zu laufen. Dazu bot sich nicht viel Gelegenheit in San Salvador, denn unser Fahrer Dani war schon vor Ort, um uns aus der Stracheldrahtwelt hinaus zu bugsieren. El Salvador hat seit diesem Sommer einen neuen Präsidenten, Nayib Bukele, der, wie alle zuvor, verspricht, die Missstände anzupacken.

Bukele President El Salvador
Der neue Präsident El Salvadors Bukele. Quelle Latina-Press.com.

Mit erst 37 Jahren ist er sehr jung und wird dem Populismus zugeordnet, war Kandidat einer rechten Partei. Er hat kein klares Programm und ihm wird die Kritik angetragen, keinen Plan zu haben. In der jüngeren Geschichte finden sich traurige Beispiele für Korruption, wie der ehemalige Präsidenten Antonio Sara (2004 – 2009), der als erster Amtsinhaber im August 2018 verurteilt, nachdem er 2016 festgenommen wurde. Zehn Jahre Haft abzubüssen und rund 250 Millionen Dollar zurückzuzahlen wurde ihm aufgetragen. Vorgeworfen wurden ihm Geldwäsche, Unterschlagung von 246 Millionen Dollar sowie die Gründung einer illegalen Vereinigung. Es gilt nun für die gebeutelte Bevölkerung zu hoffen, dass der neue Präsident mehr für das Land tut. Bereits mehrere Millionen Salvadorianer sind bis dato und vor der Wahl aus dem Land geflüchtet. Man denke an Trump, seine Asylpolitik und die Einmischung Nordamerikas in die Belange der lokalen Bevölkerung. Man denke an den weltweiten Kokainkonsum und die Rolle Zentralamerikas.

former President El Salvador Sara
Sara (mittig im weissen Shirt), der ehemalige Präsident El Salvadors, wartet mit den Mitangeklagten auf die Urteilsverkündung, Quelle: news.cgtn.com.

Wir verlassen also die Stadt in Danis Van. Rundumtönung der Scheiben ist hier legal, Dani entschied sich jedoch für die sichere Variante und schnitt in die Abtönfolie ein Guckloch über dem Lenkrad. Wir grinsten, denn dieses Guckloch hatte die Form der bekannten, angebissenen Frucht eines Herstellers für Kommunikationsgeräte. You know.

Der Blick aus dem Fenster war in Teilen bekannt, da vieles hier wie in Indonesien ähnlich dem Level des Entwicklungsstandes der Länder war, die sich zwischen Level 2 und 3 befanden. Hans Rosling, der Autor von Facticism und einer der Lieblingsautoren von Bill Gates und mir, fiel mir wieder ein. Kindersterblichkeit, Lebenserwartung und Jahreseinkommen definierten die aktuell gültige Einteilung von Entwicklungsständen der Länder dieses Erdballs. El Salvador ist exakt auf der Schwelle zu Level 3. Begriffe wie erste Welt etc. sind längst nicht mehr zeitgemäss und ein Überbleibsel aus den 80er Jahren. Für jeden, der denkt, die Welt ginge den Bach runter, gibt es hier auf Fakten basierte Hoffnung.

El Salvador hatte 2017 eine Mordrate von 61.8 pro 100’000 Einwohnern und total 3’942 Morde zu verzeichnen und war somit vor Venezuela und Jamaika auf Platz 1 weltweit. Laut auswärtigem Amt und EDA-Schweiz sind jedoch selten Touristen betroffen. Meist sind Einheimische und besonders Gang-Mitglieder ins Töten involviert. MS13 und 18th-Street-Gang geben hier den Ton an.

An unzähligen Pizza Huts, Wendys, McDonalds, Burger Kings und weiteren redundanten Fastfood-Ketten bahnen wir mit Dani unseren Weg über die gut ausgebaute Autobahn in Richtung La Libertat, die Küstenstadt, in dessen Nähe unser Ziel von Google-Maps aus sichtbar gewesen war. Da wir kaum lokale Restaurants oder Fressbuden sahen, fragten wir Dani nach lokalem Essen und wir notieren Pupusas, eine Art Tortilla/Bohnen/Käse-Kombi in Teig auf unsere Liste. Wie die Fastfoodläden steril ihre riesigen Schilder und Leuchtreklamen in den Boden der Bürgerkriegsvergangenheit und Armut und Gangs und Surfwelt gerammt hatten, hatte in meinen Augen etwas obskures, surreales, zynisches. Kaum verdienen die armen Leute hier hart ihr Geld, baumelt die Möhre des Konsums an einer Angel vor ihren Gesichtern.

Vor meinem inneren Auge läuft ein Film ab: Mobiltelefonzombies trotten kollektiv und grau in die Tristesse der Einkaufszentren, bis der Messias des Nichtkonsums nach oben blickt und aufatmet, etwas versteht. Er rüttelte seine Leute wach, mehr und mehr und ich träume, wie Anführer der zukünftigen Revolution auf einem Pizza-Hut-Schild balancierend ihre Waffe in die Luft strecken, abfeuern, sich mit einer Hand festhalten und Schlachtrufe in die flammen-erleuchtete Nacht schreien. Sie feiern mit der jubelnden Masse aus Opfern der zentralamerikanischen Korruption und Globalisierung, die sie soeben befreit haben. Die Menschen tanzten und das Gefühl der Freiheit befreite ihre Körper von der Last und mit gerecktem Rücken strahlten ihre Lächeln in den Nachthimmel, taumelnd vor dem Schwindel der Veränderung. 

Das alles behielt ich erstmal für mich, unsicher wie so oft, wie ich diese Idee verständlich transportieren sollte, ohne ihre unwirkliche Realität zu verlieren. Das Auto brummt, mein Blick heftet sich still an unzählige Schilder und Fotos von Burgern und Pizza. Mein Stresslevel, der Druck meines richtigen, normalen, sicheren Jobs zuhause, meine Gedanken waren noch jenseits von dem state of mind, den ich und auch Sheila finden wollten.

Wir erreichen die Küstenstadt an der Costa del Balsamo. La Libertad ist im Aufbau und sehr sauber, weniger Stacheldrähte säumen hier die Gebäude. Überraschend bunt sind die Häuser hier angestrichen und die beste Ceviche unseres Lebens sollten wir hier für 5 Dollar wenige Tage später essen. Si, si, me gusta.

Wir erreichten unsere Unterkunft, ein zweistöckiges Haus im Jungle nahe des Spots unserer Wahl, mit einem kleinen Pool, sehr netten Arbeitern, die für Küche und Anwesen verantwortlich waren. Die Mauern hier waren spröde und der Stacheldraht verbogen, an manchen Stellen nicht mehr sichtbar. Ein paar andere Surfreisende waren vor Ort und ingesamt bot die Unterkunft Platz für etwa acht Personen. Wer wie viele Wellen an Punta Roca bekam oder verschwendete, welches Board wie viel Wert sei, wer hart rippte oder welche Welle wie forderte waren Themen der Runde. Alles andere, wie die Welt aus der wir gerade ankamen, war irgendwie gar nicht auf dem Radar der anderen. Wir sassen, tranken kaltes Bier, rauchten und hörten zu. Selbstzweifel und Trennung von dieser Welt, in der wir gerade als Gäste ankamen, spürte ich noch deutlicher. Mein Kopf war ausgegossen mit überflüssigem Müll, den ich im Verstand filtern musste, um Geld zu verdienen. Ich mochte mich nicht und wollte das ändern, war dazu unfähig zuhause. Endlich da, den seelischen Ballast abwerfen, das war die Devise.

Sympathisch war der Besitzer und Betreiber des Surfhauses, Walter Torres, der zur Frage, ob Dan das zehn Jahre alte Brett von Will für 20 oder 25 Dollar kaufen sollte, wortkarg kommentierte: «It’s always weird about the money. Twenty this or twenty-five that, doesn’t matter.» Die beiden bemerkten sichtbar, dass es ihnen wohl eigentlich Spass machte, über den Wert des Dings zu sprechen und über jenes Geld, der diesem Wert entspricht. Weitere Biere folgten und wir genossen die Gelöstheit der anderen, die irgendwie so wirkten, als wäre all dieser 08/15-Surftalk weder aufgesetzt noch affektiv. Das war angenehm.

Rick war ein kleinerer, muskulöser, kurzhaariger, blonder Australier, der schon mehrere Wochen vor Ort hauste. Eine Mischung aus autarker Langeweile und Neugierde für Europa schwang in seinen Fragen mit. Walter und Dan interessierten sich ausserdem für Zürich und die Schweiz. Was wir berichteten, war vordergründig sehr positiv und die Zuhörer waren erstmal begeistert. Wohlstand und Lebensqualität beeindruckte unsere Zuhörer, was mir irgendwie missfiel. Warum, keine Ahnung. 
Die Suizidrate Europas wird von Belgien mit 20,2 pro 100’000 Einwohnern pro Jahr dominiert, doch Frankreich und die Schweiz mit 17,7 und 17,2 bieten eine traurige Realität, die im ersten Moment verblüfft. Weltweit ist Japan auf Platz 14 und die Schweiz auf Platz 18, wobei man hier bemerken könnte, dass beide Länder enorm wohlhabend sind, eine hohe Lebenserwartung bieten und wenig Gefahren für die Einwohner bestehen. Alle anderen Länder der Top 20 sind nicht ansatzweise so wohlhabend. Weniger detailliert warf ich die hohe Suizidrate in der Schweiz in die Runde und der Leistungsdruck schien während der Konversation eine sinnvolle These. Jemand sagte, dass wenn man ein Leben lang darauf trainiert ist, den Affenfelsen hochzuklettern, ohne zu lernen seiner emotionalen Gesundheit Sorge zu tragen oder Ziele ausserhalb der materiellen Welt verfolgt, man irgendwann eben durchbrennt. 

Was auch immer die Gründe sein mögen, Walter meint, die Selbstmordrate in El Salvador sei sehr gering, da hier viele Menschen durch Gewalt sterben und jeder hier für sein Leben auf die ein oder andere Art kämpfen muss. Der Wert des Lebens sei hier deswegen präsenter. Die Menschen erfahren, wie zerbrechlich dies ist. Den Kommentar, was das Exit-Programm in der Schweiz leistet, spare ich mir. Sheila bemerkte später, dass sie das Testosteron im Haus und in der Runde spürte und sie dies nicht unbedingt motivierte, sich in den Surftalk zu Beginn einzumischen. 

Rick aus Australien berichtete auch von seiner letztjährigen und ersten Reise nach El Salvador und dass er das zweite Mal bei Walter im Haus übernachtet und letztes Jahr von Costa Rica aus anreiste. Es sei der erste Trip nach El Salvador gewesen und alle, die er fragte, waren sich einig. Nach El Salvador zu reisen, sei zu gefährlich. Kaum am Flughafen angekommen, erhielt er eine Nachricht von Walter. Ein Truck voller 18th-Street-Gangster habe eine Schiesserei mit der Polizei gehabt und einen Polizisten getötet. Darauf versuchten die Gang-Mitglieder mit ihren Waffen und dem Truck zu flüchten, wurden jedoch durch Schusswaffengebrauch gestoppt. Einer von ihnen starb noch vor Ort. Bevor die Polizei sie auf einer Brücke anhalten konnte, warfen die Mitglieder der berüchtigten Bande all ihre Waffen aus den Fahrzeugfenstern, um die Beweise loszuwerden. Die gesamte Strasse war gesperrt und Walter war ausser Stande, Rick am Flughafen abzuholen. So musste Rick auf ein salvadorianisches, schmieriges Hotel ausweichen und Walter sass mehrere Stunden in seinem Fahrzeug fest.

Wir speisten Tacos und schliefen um 19 Uhr, wachten um 5 Uhr auf und gingen surfen. Der Spot lief mellow, auf der Inside jedoch mit einer schönen Wall, die einen weiteren kleinen Peak aufbaute, der bei gutem Swell und der richtigen Tide volle Fahrt ermöglicht, wroooom. Sie pellt sich klassisch, wie einem Point-Break würdig, elegant in die Pebblestone-Bucht vorbei an der kleinen Flussmündung. Die Pebblestones sind mindestens von der Grösse eines Medizinballs und erfordern ein wenig Balance bei Ein- und Ausstieg. Alternativ paddelst du um das Naturschwimmbecken auf der anderen Seite des Points zum Mainbreak.

Von Midtide to Lowtide gefällt uns die Welle bei einem Forecast von einem Meter und 16 Sekunden sehr gut und die ersten Turns sind nach fast zwei Stunden Paddeln, Sitzen, Beobachten und «outkooken» gesetzt. Der Takeoff hat genug Energie, um mit einem Fishboard früh aufzustehen und hat zwar bei einem kleineren Swell schwächere Sections, aber direkt nach dem Takeoff und gegen mittleren Bereich der Bucht genug Wand, die man klassisch floaten oder mit dem Close-Out zu Ende reiten kann. 

El Salvador Fish Boards
Der Pointbreak liebt die Fishboards.

Nach einer der besseren Wellen hatte ich etwas übermütig und recht weit auf der Inside eine späte Welle nehmen wollen. Während dem letzten Paddelzug und kurz vor dem Aufstehen spüre ich, wie das Wasser unter meinem Brett mehrere Zentimeter Luft von mir entfernt ist und wie durch Gottes Hand gepackt schmeisst mich die Lipp vor sich. Auftauchen, Durchatmen, die nächst Welle anvisieren. Ich sehe, wie das Face sich aufbaut und seltsamerweise Richtung Schulter schon bricht, während wenige Meter von mir entfernt sich die grüne Wall mit dunkelbraunem Sand vollsaugt und auflädt. Der Sandfleck in der Welle sieht aus wie ein schlieriges, fieses Gespenst, das eine Grimasse zieht und ein Auge zukneift. Sand und Wasser sind schwerer als nur Wasser, denke ich mir irgendwie in völliger Abwesenheit von Vorfreude, mein Duckdive ist zu spät. Die Lipp schmettert mich direkt auf den Rücken und eine betäubte Orientierungslosigkeit lässt meine Hände mein Brett packen, als wäre es die letzte Bastion zwischen mir und dem Pebblestone-Crash. Kurze Momente der Panik, ungewohnt, auch nach ein paar Trips, bleibt die Kookness in meinen Genen, sichtbar für jeden. Yes, der deutsche Kook ist zurück im Game, verdammt.

Surfer El Salvador
Die Paparazzi sind am Land und im Wasser. Für etwa 20 Dollar bekommst du mehr oder weniger gute Shots von deiner Session.

Gleich mehrere Fotografen offerieren ihre Fotos unserer Wellen nach der Session an dem sonst eher jenseitigen unbevölkerten Ort. Unter einem Bambusdach bietet eine ältere Frau mit genau zwei Zähnen am unteren Kiefer Kokosnüsse für 1.50 USD inklusive Strohhalm, Löffel und Öffnungsservice an, was wir annehmen. Wir sind überrascht, dass jeder hier sich direkt mit Namen vorstellt, die Hand grüssend ausstreckt. Der Kitsch, das Cliché, die Redundanz, die Unwichtigkeit unserer Erfahrung, das Beschreiten von vorbereiteten Wegen, die rationale Unnötigkeit des Anreisestresses, dass Surfen sinnfrei ist und eigentlich Unfug, der Spass macht, die Idee der Surfreise und der spirituellen Reise, all das blabla und der Blick in den Spiegel ist für einen kurzen Moment nicht mehr wahrnehmbar. Das Frühstück nach einem dicken Akkord an Action sowie ein heisser Kaffee waren gerade nicht zu toppen. Hola Zentralamerika.

Reisehinweise zu El Salvador der EDA Schweiz: https://www.eda.admin.ch/eda