Wie um alles in der Welt ist dies geschehen? Wie bin ich hier gelandet? Wie um alles in der Welt habe ich dieses Land gefunden? Ein Traum für Surfer und Naturliebhaber.

Sprachlos sitze ich auf meinem Standtuch. Unmöglich erscheint mir dies beinahe. Uncrowded Surfspots, das gab es vielleicht einmal zu Zeiten des guten alten Dukes, aber sicher nicht in diesem Jahrhundert. Doch ich bin in Chile und Chile ist nicht der Rest der Welt.

Viña del Mar
Meist surfe ich Spots in der Nähe von Viña del Mar, da diese von Santiago, meinem neuen Wohnort, in etwa eineinhalb bis zwei Stunden gut erreichbar sind. Neujahr verbringe ich Champagner trinkend und das Feuerwerk bestaunend auf einem Surfbrett inmitten einer Bucht etwas ausserhalb des Line-ups.

In der Region um Viña und Valparaíso sind die Surfspots der höheren Bevölkerungsdichte wegen samt dazugehöriger Infrastruktur gut erreichbar. Diese Region bietet Beachbreaks und einige für Chile typische linke Pointbreaks. Und auch wenn es tatsächlich Spots gibt, die sogar für europäische Verhältnisse im Sommer crowded sind, kann man in Chile zu jeder Jahreszeit in weniger als drei Stunden von Santiago entfernt, Spots surfen, die ziemlich leer sind.

Entstanden ist der Surfsport in Chile an einem Ort namens Quintero in Viñas Nähe. Ein kalifornischer Meeresbiologe hat in den 70-ern mit einem Longboard ausgestattet die Meerestiere einer ruhigen Bucht untersucht und ist abends auf einer Welle surfend an Land zurückgekehrt. Bald darauf lieh er sein Board einigen neugierigen Locals und so nahm alles seinen Lauf.

Surfen in Chile
Chile ist anders, denn es ist noch nicht von der Surfindustrie überrollt worden. Die meisten Locals können es sich nicht ansatzweise vorstellen, wie es ist, wenn flugzeugweise wellenhungrige Gringos aussteigen.

Hier verirren sich der etwas kälteren Wassertemperatur wegen seltener Surftouristen. Denn in Chile surft man grundsätzlich immer einen 4/3er und Booties, auch im Hochsommer, im Winter sogar mit Neoprenkappe. Sei es in Santiago noch so heiss, den Kapuzenpulli mit ans Meer darf auf keinen Fall vergessen gehen. Meist empfiehlt sich gar eine Daunenjacke für den Abend oder alle Fälle. Ist es doch am Meer immer bedeutend frischer als im Rest des Landes. Dem antarktischen und kalten Humboldtstrom sei Dank. Doch auch einer weiteren Tatsache ist es zu verdanken, dass hier vor allem Locals surfen. Chile befindet sich vom Rest der Welt weit entfernt. Sehr weit.

In diesem Land gibt es kaum Surfinfrastruktur wie Surfhostels, geschweige denn Camps. Nationale meteorologische Daten gibt es ebenso wenig. Forecast Apps greifen deshalb auf internationale Daten zurück, was dazu führt, dass der Swell meist einen halben Tag früher ankommt als vorhergesagt. Die meisten Spots funktionieren bei Hightide am besten. Ab und zu findet man eine Surfschule. Manchmal sogar an Stränden, die weder auf Magicseaweed noch auf Stormriders verzeichnet sind. Meist lassen sich die dicken Foamies mieten. Ganz egal ob sich der Spot für Anfänger eignet oder nicht.

Ins Gespräch mit anderen Surfern kommt man hier schnell, oftmals auf dem Parkplatz beim Wechseln des Wetsuits. Sobald ich in meinem gebrochenen Spanisch antworte, folgt die Frage, woher ich denn komme. Kurz darauf das grosse Erstaunen. Als Ausländer ist und bleibt man eine Rarität, die es zu Bestaunen und auszufragen gilt. Dann noch aus einem Land ohne Wellen, aus Europas Mitte. Das sprengt schon mal die Vorstellungskraft des einen oder anderen.

Localism ist ohnehin ein Fremdwort in Chile. Wegen einem Drop-in ist hier ganz gewiss noch niemand in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Davon mal abgesehen, dass dies hier kaum vorkommt. Die Locals sind entspannt und hilfsbereit. Sogar zu komplett Fremden und auch wenn es um Spots geht. Hier kennt man sich unter Surfern, die Überschaubarkeit der Surfszene erinnert beinahe schon an Schweizer Verhältnisse.

Unberührte Natur
Chiles Natur ist atemberaubend. Wunderbare Pinienwälder, hüglige Steppenlandschaften, unberührte Flussmündungen oder wüstenartige Landschaften gehören hier zum Surfen mit dazu. Traut man sich es zu, etwas off-track zu reisen, kommt man aus dem Staunen meist gar nicht mehr heraus. Kreisende Adler, grüne Papageien, fremdartiges Gefieder, wunderbare Kakteen, schwimmende Seesterne inmitten glitzernder Buchten. Der Erholungsfaktor eines Wellnessurlaubs.

Etwa zwei bis drei Stunden von Santiago entfernt beginnen die Schotterpisten. Manchmal verschwindet sogar der Handyempfang. Hier befindet sich die Welt der einsamen, linken Pointbreaks, oftmals nur per 4×4 erreichbar. Ich höre von Points, die noch ungesurft sind, da sie sich nur mit dem Boot ansteuern lassen. Doch die Points in Chile haben es in sich, denn meist kommt mit guten Wellen eine Strömung hinzu, die beinahe an Schweizer Flüsse erinnert. Eines Tages höre ich von einem Point, den Jack Burton himself gesurft haben soll. Eine Stunde fahre ich auf einsamen Sandstrassen, bevor hinter mir aus der Ferne ein SUV mit Brettern auf dem Dach anrauscht. Kurz darauf erblicke ich die Bucht. Und tatsächlich habe ich noch nie zuvor Ähnliches gesehen. Es ist ein Traum. Es ist die schönste Welle, die ich bis anhin in meinem Leben gesurft bin.