Afrika oder «die Wiege der Menschheit», ein Kontinent voller Abenteuer. Dort stecken zu bleiben zu Zeiten, in welchen die Welt stillsteht – eine einzigartige Erfahrung.
Den Draht zu Afrika, dem vielfach so wild und exotisch erscheinenden Flecken auf der Welt, hatte ich schon sehr früh. Mein Vater arbeitet seit Jahren beim DEZA, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit im In- und Ausland und ist auf diesen Erdteil spezialisiert. Schon mit sieben Jahren war ich deshalb längere Zeit in Mozambique und später dann in Äthiopien unterwegs, wo mein Bruder ein Austauschjahr bei Papa gemacht hatte.
Traumdestination Senegal
Dass sich dieses faszinierende afrikanische Land nun auch noch mit meiner Leidenschaft, dem Surfen verbinden lässt, macht es für mich eigentlich zur optimalen Destination – nur logisch, dass sich auch mein Herz da wohl fühlt. Auf natürliche Weise habe ich einen Bund zu den Menschen, der Einfachheit des Lebens und den Farben und Klängen, welche einem hier erwarten. Es herrscht eine ganz spezielle Energie, die mich immer aufs Neue in ihren Bann zieht.
Auch dieses Mal ist es wie «Homecoming»
Das Ankommen am Flughafen mitten in der Nacht, die Fahrt durch das lebendige Dakar, Senegals Hauptstadt, die geräuschvollen Strassen und die sich trotz Dunkelheit tummelnden Menschen, die haarsträubenden Strassenmanöver der Autos, das vertraute Gesicht meines Drivers: «Salaamaalekum! Na nga def?», grüsst er mich auf Wolof, einer der Landessprachen hier in Westafrika.
Er führt mich sicher zum Hafen von N’Gor, einem Distrikt an der Küste von Senegal. Hier liegt das N’Gor Island Surfcamp auf einer Insel direkt vor besagtem Stadtteil. Ich habe mich schon bei meinem ersten Besuch vor drei Jahren sofort in die Inselbewohner, aber auch in die Owner des Camps, Jesper und Soraya, verliebt und kann es kaum erwarten, endlich wieder ein paar Wochen hier zu verbringen.
Die Ruhe vor dem Sturm
Die erste Zeit auf der Insel geht ohne Zwischenfall und grosse Sorgen über die Bühne und die sich anbahnenden Bedenken, welche in der Schweiz betreffend Virus schon zu spüren waren, verebben schnell in der Stille des Ozeans, der leichten Brise und dem Salz auf meiner Haut. Dass in der Woche bevor ich die Schweiz verliess an der Sekundarschule, wo ich gerade vikarisierte, der morgendliche Gruss nun ohne Körperkontakt ausgeführt werden musste und wir mit den Jugendlichen erstmals ihre Händewasch-Skills unter die Lupe nahmen, schien noch kein Grund zur Sorge und verblasste bei Vitamin D unter der senegalesischen Sonne.
Camp-Life
Meine Hauptaufgabe im Camp ist es, das Abendessen für die Gäste zu servieren. Food in Senegal besteht vor allem aus Fisch und Reis und nicht zu vergessen: Zwiebeln in allen Variationen. Keiner geht hier nach Hause, ohne das uns Europäern banal erscheinende Gemüse mit anderen Augen zu sehen – Onionized! Sonst stehen weitere traditionelle Gerichte wie Mafe oder Tiboudiene auf dem Speiseplan. Kulinarisch in eine fremde Welt einzutauchen, macht die kulturelle Erfahrung immer authentischer und es ist mir eine Freude, Campbesucher auch in gemeinsame Rituale einzuführen. Eines davon, von Hand aus der gleichen Schüssel zu essen, wie es auch die Locals tun.
Daneben übernehme ich kleinere Aufgaben und unterstützte, wo gerade Bedarf ist und kann dafür von den Surf-Safaris profitieren, Dakar erkunden und die Insel in vollen Zügen geniessen. Vor allem aber: surfen, surfen und nochmal surfen! Dafür ist hier im Camp ein für allemal gesorgt. Es vergeht kaum ein Tag, an welchem nicht irgendein Spot funktioniert. Im Zweifelsfalle und bei weniger perfekten Bedingungen hat man dann noch die Welle vor der Camptüre – N’Gor Right.
Auf dem Tagesplan steht sowohl Surfschule für die noch am Anfang stehenden Teilnehmer als auch je nach Swell und Wind Ausflüge mit Boot und Auto an die unterschiedlichen Spots um die Insel oder auf dem Festland. Es kommt garantiert jeder auf seine Kosten und das Qualitätspotential ist hoch – für jedes Level ist etwas dabei.
Gefasst sein muss man auf Felsen und Seeigel. Um die kommt man eigentlich nicht rum und es gehört fast dazu, sich mal ein paar Stacheln einzufangen: Teil der Experience und nicht weiter schlimm, wenn sie schnell entfernt werden.
«Coronaht»
Nach einiger Zeit spitzt sich jedoch die Lage um den Corona-Virus auch im Camp zu. Die Nachrichten werden regelrecht davon beherrscht und auch sonst gewinnt das Thema durch das Publikum im Camp aus aller Welt immer mehr an Präsenz. Jedes Land ist mittlerweile unterschiedlich betroffen, hitzige Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten ergeben sich. Von Tag zu Tag ändert sich die Lage und eine allgemeine Unsicherheit macht sich breit. Auch in der Region spürt man einen gewissen Druck und erste Anzeichen machen sich bemerkbar: Der lokale Fischmarkt senkt zum Beispiel den Preis um 50 Prozent, da plötzlich der Export einbricht.
Ein Mann ein Wort und Taten
Der Campleiter beschliesst, Vorkehrungen zu treffen. Von Bekannten aus der Heimat erreichen uns Bilder von leergeräumten Regalen und «WC-Rollen-Übergriffen». Zumal einem die Gier nach Toilettenpapier hier in Afrika nur ein Lächeln abringt, wenn man bedenkt, dass die tägliche Hygiene wie in vielen anderen Ländern ohne Komplikationen einfach mit Wasser erfolgt. In Europa ist die Pandemie ein Schritt voraus und eine gewisse Panik wird auf Distanz spürbar. Ausserdem hat eine Gruppe von 5 Touristen ihren Campaufenthalt kurzerhand storniert, was den Ernst der Lage unterstreicht.
Jesper ist alarmiert und möchte sich vorbereiten für den Fall, dass die Regelungen von der Regierung auch hier verschärft werden, denn in Afrika können solche Vorkehrungen ohne grosse Ankündigungen knallhart in die Tat umgesetzt werden. Es wird eine Teamsitzung einberufen, in welcher wir als Staff berechnen, wieviel und welchen Food wir vom Festland überschiffen müssten, um mindestens einen Monat überleben zu können. Es sind dies vor allem lang haltbare Lebensmittel, welche am nächsten Morgen in aller Früh mit ein paar Helfern mit dem Boot auf die Insel geschafft werden. Unauffällig, damit nicht unnötige Aufruhr entsteht. Da wir aber bei einem Shutdown von Supermärkten abgeschottet sein würden, ist eine kleine Hamsterkauf-Aktion fast unabdingbar.
Ausserdem müssen wir recherchieren: Es gilt, bis dahin bekannte Fakten über den noch so unbekannten Virus zu eruieren und herauszufinden, welche Medikamente uns auf der Insel im Falle einer Selbstquarantäne nützlich sein könnten. Der Gang ins Spital möchte man hier wenn irgendwie möglich vermeiden, da auch an solchen Orten manchmal die Hygiene fehlt und die Organisation lange nicht so entwickelt ist wie in Europa. Einerseits hat mich die Recherche beruhigt und ich fühle mich kompetenter, andererseits wird mir die Omnipräsenz von COVID-19 in den Medien noch mehr bewusst.
Jesper rät uns, Bargeld abzuheben. In Afrika sind Geldautomaten in Notsituationen innerhalb von zwei Tagen leergeräumt, da man nirgends mit Karte bezahlen kann. Viele Einheimische verdienen zudem ihren Batzen von Tag zu Tag. Grosse Sparkonten sind rar und was man zur Seite legen kann, verstaut man meist in den eigenen vier Wänden. Auch fehlt rechtlicher Schutz für Preise. Es kann gut sein, dass hier bei einer erhöhten Nachfrage die Kosten ohne Einschränkung steigen und das einzige Mittel um weiterzukommen bare Münzen sind.
Bei solchen Kalkulationen kommen natürlich gemischte Gefühle auf. Einerseits wollte ich schon immer einmal ohne Tom Hanks auf einer einsamen Insel verschollen sein, andererseits ist es doch eine andere Ausgangslage, wenn man die Entscheidung nicht selbst in der Hand hat. Es kommt dazu, dass Jesper allen aktuellen Gästen im Camp die Lage erklärt und empfiehlt, bei dringenden Terminen oder Familie asap einen Flug nach Hause zu organisieren. Mein Rückflug ist noch eine Weile nicht geplant und es wird mir bewusst, dass im Moment alles passieren kann. Viele packen noch am gleichen Tag ihre Sachen und ziehen davon.
Diesen Drang habe ich noch nicht. Ich fühle mich wohl hier. Die Connection zur Natur gibt Kraft, die Crew ist super und Wind und Sonne stärken nicht nur das Immunsystem. Wieso also etwas überstürzen?
Dazu kommt, dass diejenigen Locals, welche die Ereignisse verfolgen, viel besser mit der Situation umgehen können. Sie sind sich gewohnt, dass man im Leben nicht immer alles in der Hand hat und meistern auch die Tatsache, dass alles vergänglich ist besser als wir. Sie lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen, was auch mir Boden gibt. Für sie gehört es dazu, jeden neuen Tag zu nehmen wie er kommt… «Inshalla»! Ausserdem mussten sie Ebola bekämpfen. Gar noch nicht so lange her und viel tödlicher als der Virus 2020.
Weg? Jetzt oder länger nicht!
Die Lage spitzt sich zu. Die nächsten zwei Tage sind ein Wechselbad der Gefühle. Verwandte und Bekannte fangen an anzurufen und drängen, nach Hause zu kommen. Zum x-ten Mal wird mir geraten, mich auf der EDA-App zu registrieren, was ich schon lange für den Notfall getan hatte. Zusammen mit Eliane, einer Freundin aus der Schweiz, suchen wir Flüge raus, verwerfen sie wieder aus Angst unterwegs stecken zu bleiben. Etliche Flughäfen haben innerhalb der letzten 48 Stunden kurzen Prozess gemacht und die Tore geschlossen. Diese zwei Tage sind die schlimmsten, da man weder weiss, ob man noch zurückkommt, noch wie sich die Situation überhaupt entwickelt. Und die Messages machen es noch prekärer, denn kaum hat man sich für etwas entschieden, kommt wieder ein unerwünschter Kommentar oder jemand hat doch noch eine Verbindung online gefunden, die es in Wahrheit gar nicht mehr gibt.
Gäste hat es kaum mehr im Camp. Schlussendlich entscheiden wir, zu bleiben und die Anspannung lässt nach. Momentan kann die Situation eh nicht geändert werden. Mir wird mulmig und ganz unterschiedliche Gedanken ziehen mir durch den Kopf. Die Tatsache, dass die Mehrheit von Europäern schon aus Dakar evakuiert wurde, irritiert. Normalerweise sind sie es, welche ihre privilegierten Arbeiten ausführen, sogar in kurzer Zeit Afrikaner einstellen und ihnen Lohn zahlen, in einem schönen Haus mit Personal wohnen und es sich gut gehen lassen – und kaum gibt es ein Problem, fliehen sie in ihren sicheren Hafen? Sollte man nicht besser dieses Land in ruhigen Zeiten so unterstützen, dass dies in einer Krise eben genau nicht nötig ist? Wieso machen uns solche Situationen Angst, wenn es für ganz viele andere Alltag ist?
Dann, unerwartet, trommelt uns Jesper spät abends zusammen und verkündet, er habe Informationen, dass morgen alle diejenigen, welche weniger als 25 Tage im Land sind, in eine Quarantäne gesteckt werden. Das wäre eine Situation, die auf alle Fälle verhindert werden sollte hier in Afrika. Menschenrechte sind nicht geltend und auch sonst sei die Lage unberechenbar. Fehlende Bildung könnte bei so einer Menschenmasse zu Ausschreitungen führen, da die Weissen als Importeure der Krankheit verantwortlich gemacht werden.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion packen wir unsere Sachen und stürmen zum Flughafen. Niemand glaubt wirklich daran, noch einen Flug zu erwischen, die Linien direkt nach Europa sind alle schon gestrichen.
Mitten in der Nacht kommen wir an und warten bis der erste Schalter öffnet. Der Mann hinter der Theke strahlt eine angenehme Positivität aus. Ich weiss, es kommt alles wie es muss und bin zuversichtlich. Zusammen geht er mit uns alle Optionen durch. Die einzige Möglichkeit ist ein Flug in zwei Tagen nach Frankfurt… No way! Wer weiss schon, ob der nicht auch noch gestrichen wird und man kann auch nicht mehr einfach ohne Problem in der Stadt herumreisen. Kurzerhand entscheiden wir uns zurückzukehren. Ohne ein Auge zugetan zu haben und erleichtert kommen wir auf die Insel zurück. Nun kommt es einfach, wie es muss und dieses Hin und Her hat definitiv ein Ende. Auch diese Quarantäne würden wir überstehen, aber niemand kommt, um uns abzuholen.
Quarantäne in der Kommune – could be worse
Nachdem wir uns ein wenig ausgeruht haben, begeben wir uns in Quarantäne auf der Insel. Übrig geblieben sind acht Leute. Die Familie des Surfcamps, drei Staffleute (mich inklusive) und Eliane. Zusammen verschanzen wir uns nun bei Jesper im Haus, welcher uns ohne zu zögern alle bei sich unterbringt – auch nicht selbstverständlich und an dieser Stelle noch einmal von Herzen Danke. Der Surfcampbetrieb ist mittlerweile eingestellt. Unterdessen herrscht auch in Senegal Ausgangssperre und es wird immer klarer, dass der Zustand bis zu drei Monaten anhalten kann. Wir richten uns ein und sind gewappnet, hier eine Weile zu sein – es könnte definitiv schlimmer sein.
Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, beginnt ein toller Kommunenalltag. Die Insel ist wie ausgestorben und wir organisieren unsere Gemeinschaft mit verschiedenen Aktivitäten im Haus. Einzig zum Surfen von N’Gor Right (vor der Haustüre) verlassen wir noch unser Heim in den frühen Morgenstunden.
Wir bilden jeden Tag eine Gruppe, die kocht, andere erledigen den Abwasch oder nehmen die Böden auf, wieder andere kümmern sich um Aktivitäten und Unterhaltungsprogramm. Das Wasser wird gefiltert, Strom wird mit Solar erzeugt, Fische fangen kann man im Notfall in Gehdistanz und der Storage ist mit Essen gefüllt. Es ist eigentlich alles auf Eigenversorgung ausgerichtet. Wir organisieren Kunstworkshops, ein Spa, Movienights oder lernen Knoten und spielen Gesellschaftsspiele. Ausserdem pflanzen wir mehr Gemüse an (frisches Gemüse ist das einzige, das wir nicht ewig zur Verfügung haben auf der Insel), präparieren das angeschaffte Angelmaterial und machen das geschlossene Camp «regenzeitsicher». Einmal im Tag organisieren wir ein Workout und halten eine Yogastunde ab, damit auch für die Fitness gesorgt ist.
Ich fühle mich zu Hause, geborgen und bin dankbar für diese Erfahrung. Wir können immer noch die Terrasse geniessen, die Meeresluft schnuppern und haben die Natur um uns herum. Es erinnert mich einmal mehr daran: «Nature gives rise to all of life on the planet, including our own, and connecting with the natural world is an integral part of our happiness and well-being» – von Claire Thompson. Allzuoft lässt uns die Stadt und die Konsumgesellschaft dies vergessen. So ein «back to nature» sollte viel öfters ganz bewusst zelebriert werden.
Coming home
Nach einer Woche in dieser Bubble kommt die Meldung vom EDA: Es wird ein Direktflug von Dakar nach Zürich organisiert, um die Schweizer zurück zu holen.
Trotz der Idylle auf der Insel ist uns klar, dass wir dieses Angebot wahrnehmen müssen und nicht einfach alles auf unbestimmte Zeit hinter uns lassen können. Das WG-Zimmer muss bezahlt, die Jobsituation geklärt und die Verpflichtungen wahrgenommen werden. Schliesslich ist dieses Time-out ja nicht geplant.
Ausserdem ist im Moment allen unklar, in welche Richtung sich die Welt entwickelt und da ist es schlussendlich doch beruhigend, seine Familie und Freunde um sich zu haben und trotz social distancing zu wissen, dass diese Menschen in der Nähe sind.
Für mich war die Zeit sehr lehrreich und hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, zusammen zu halten und Materielles gehen zu lassen, in dieser Virusgeschichte stecken wir alle drin. Mir persönlich wurde auch noch deutlicher, was für eine heilende Kraft die Natur und vor allen Dingen der Ozean auf mich hat. Dies ist unbezahlbar – stay connected!
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Schöner Artikel.